Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.und schlafen, und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen wie bequem sichs eure Wächter gemacht haben.' Der Graf mußte lachen, dann sprach er 'einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.' Als die Gräfin Abends zu Bette gegangen war, schloß sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte 'alle Thüren sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.' Der Meisterdieb aber gieng in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hieng, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloß. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Todten auf seine Schultern und fieng an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, daß der Kopf des Todten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald ließ der Meister den armen Sünder herab fallen, sprang selbst die Leiter herab, und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, daß der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Todten in den Garten trug. Dort fieng er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. 'Jetzt,' dachte der Dieb, 'ist der günstige Augenblick gekommen,' schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. 'Liebe Frau,' fieng er mit der Stimme des Grafen an, 'der Dieb ist todt, aber er ist doch und schlafen, und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen wie bequem sichs eure Wächter gemacht haben.’ Der Graf mußte lachen, dann sprach er ‘einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.’ Als die Gräfin Abends zu Bette gegangen war, schloß sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte ‘alle Thüren sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.’ Der Meisterdieb aber gieng in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hieng, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloß. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Todten auf seine Schultern und fieng an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, daß der Kopf des Todten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald ließ der Meister den armen Sünder herab fallen, sprang selbst die Leiter herab, und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, daß der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Todten in den Garten trug. Dort fieng er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. ‘Jetzt,’ dachte der Dieb, ‘ist der günstige Augenblick gekommen,’ schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. ‘Liebe Frau,’ fieng er mit der Stimme des Grafen an, ‘der Dieb ist todt, aber er ist doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0508" n="496"/> und schlafen, und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen wie bequem sichs eure Wächter gemacht haben.’ Der Graf mußte lachen, dann sprach er ‘einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.’ Als die Gräfin Abends zu Bette gegangen war, schloß sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte ‘alle Thüren sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.’ Der Meisterdieb aber gieng in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hieng, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloß. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Todten auf seine Schultern und fieng an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, daß der Kopf des Todten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald ließ der Meister den armen Sünder herab fallen, sprang selbst die Leiter herab, und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, daß der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Todten in den Garten trug. Dort fieng er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. ‘Jetzt,’ dachte der Dieb, ‘ist der günstige Augenblick gekommen,’ schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. ‘Liebe Frau,’ fieng er mit der Stimme des Grafen an, ‘der Dieb ist todt, aber er ist doch </p> </div> </body> </text> </TEI> [496/0508]
und schlafen, und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen wie bequem sichs eure Wächter gemacht haben.’ Der Graf mußte lachen, dann sprach er ‘einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.’ Als die Gräfin Abends zu Bette gegangen war, schloß sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte ‘alle Thüren sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.’ Der Meisterdieb aber gieng in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hieng, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloß. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Todten auf seine Schultern und fieng an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, daß der Kopf des Todten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald ließ der Meister den armen Sünder herab fallen, sprang selbst die Leiter herab, und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, daß der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Todten in den Garten trug. Dort fieng er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. ‘Jetzt,’ dachte der Dieb, ‘ist der günstige Augenblick gekommen,’ schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. ‘Liebe Frau,’ fieng er mit der Stimme des Grafen an, ‘der Dieb ist todt, aber er ist doch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |