Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.so gieng es siebenmal. Da ward er zornig und sprach 'lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.' Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu daß ich ihm doch entsprungen wäre und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach 'nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht, daß ein so listiger und behender Mann unbeschenkt von mir gehe.' Jch nahm den Ring und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wußte nicht daß ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, mußte ich unaufhörlich rufen 'hier bin ich! hier bin ich!' ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm und fiel nieder wie ein mächtiger Baum: aber er erhob sich schnell wieder, und da er lange Beine hatte und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlaß 'hier bin ich! hier bin ich.' Jch merkte wohl daß der Ring die Ursache meines Geschreies war und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biß mir mit meinen Zähnen den Finger ab. Jn dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.' 'Frau Königin,' sprach der Räuber, 'ich habe euch diese Geschichte erzählt, um einen meiner Söhne zu erlösen, jetzt will ich, so gieng es siebenmal. Da ward er zornig und sprach ‘lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.’ Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu daß ich ihm doch entsprungen wäre und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach ‘nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht, daß ein so listiger und behender Mann unbeschenkt von mir gehe.’ Jch nahm den Ring und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wußte nicht daß ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, mußte ich unaufhörlich rufen ‘hier bin ich! hier bin ich!’ ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm und fiel nieder wie ein mächtiger Baum: aber er erhob sich schnell wieder, und da er lange Beine hatte und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlaß ‘hier bin ich! hier bin ich.’ Jch merkte wohl daß der Ring die Ursache meines Geschreies war und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biß mir mit meinen Zähnen den Finger ab. Jn dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.’ ‘Frau Königin,’ sprach der Räuber, ‘ich habe euch diese Geschichte erzählt, um einen meiner Söhne zu erlösen, jetzt will ich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0497" n="485"/> so gieng es siebenmal. Da ward er zornig und sprach ‘lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.’ Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu daß ich ihm doch entsprungen wäre und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach ‘nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht, daß ein so listiger und behender Mann unbeschenkt von mir gehe.’ Jch nahm den Ring und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wußte nicht daß ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, mußte ich unaufhörlich rufen ‘hier bin ich! hier bin ich!’ ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm und fiel nieder wie ein mächtiger Baum: aber er erhob sich schnell wieder, und da er lange Beine hatte und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlaß ‘hier bin ich! hier bin ich.’ Jch merkte wohl daß der Ring die Ursache meines Geschreies war und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biß mir mit meinen Zähnen den Finger ab. Jn dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.’</p><lb/> <p>‘Frau Königin,’ sprach der Räuber, ‘ich habe euch diese Geschichte erzählt, um einen meiner Söhne zu erlösen, jetzt will ich, </p> </div> </body> </text> </TEI> [485/0497]
so gieng es siebenmal. Da ward er zornig und sprach ‘lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.’ Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu daß ich ihm doch entsprungen wäre und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach ‘nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht, daß ein so listiger und behender Mann unbeschenkt von mir gehe.’ Jch nahm den Ring und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wußte nicht daß ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, mußte ich unaufhörlich rufen ‘hier bin ich! hier bin ich!’ ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm und fiel nieder wie ein mächtiger Baum: aber er erhob sich schnell wieder, und da er lange Beine hatte und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlaß ‘hier bin ich! hier bin ich.’ Jch merkte wohl daß der Ring die Ursache meines Geschreies war und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biß mir mit meinen Zähnen den Finger ab. Jn dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.’
‘Frau Königin,’ sprach der Räuber, ‘ich habe euch diese Geschichte erzählt, um einen meiner Söhne zu erlösen, jetzt will ich,
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/497>, abgerufen am 16.02.2025. |