Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam, so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte als ein ehrlicher Mann, und that Gutes wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren: rief er sie vor sich und sprach 'liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?' Die Söhne besprachen sich mit einander und gaben ihm dann zur Antwort 'der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.' 'Ach, liebe Kinder,' antwortete der Vater, 'warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein; ehrlich währt am
191. Der Räuber und seine Söhne.
Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam, so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte als ein ehrlicher Mann, und that Gutes wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren: rief er sie vor sich und sprach ‘liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?’ Die Söhne besprachen sich mit einander und gaben ihm dann zur Antwort ‘der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.’ ‘Ach, liebe Kinder,’ antwortete der Vater, ‘warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein; ehrlich währt am
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191.
Der Räuber und seine Söhne.
Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam, so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte als ein ehrlicher Mann, und that Gutes wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren: rief er sie vor sich und sprach ‘liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?’ Die Söhne besprachen sich mit einander und gaben ihm dann zur Antwort ‘der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.’ ‘Ach, liebe Kinder,’ antwortete der Vater, ‘warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein; ehrlich währt am
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/492>, abgerufen am 16.02.2025.
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