Einem Schneider, der ein großer Prahler war, aber ein schlechter Zahler, kam es in den Sinn ein wenig auszugehen und sich in dem Wald umzuschauen. Sobald er nur konnte, verließ er seine Werkstatt,
wanderte seinen Weg über Brücke und Steg, bald da, bald dort, immer fort und fort.
Als er nun draußen war, erblickte er in der blauen Ferne einen steilen Berg und dahinter einen himmelhohen Thurm, der aus einem wilden und finstern Wald hervorragte. 'Potz Blitz!' rief der Schneider, 'was ist das?' und weil ihn die Neugierde gewaltig stach, so gieng er frisch darauf los. Was sperrte er aber Maul und Augen auf, als er in die Nähe kam, denn der Thurm hatte Beine, sprang in einem Satz über den steilen Berg und stand als ein großmächtiger Riese vor dem Schneider. 'Was willst du hier, du winziges Fliegenbein,' rief der mit einer Stimme, als wenns von allen Seiten donnerte. Der Schneider wisperte 'ich will mich umschauen, ob ich mein Stückchen Brot in dem Wald verdienen kann.' 'Wenns um die Zeit ist,' sagte der Riese, 'so kannst du ja bei mir im Dienst eintreten.' 'Wenns sein muß, warum das nicht? was
183. Der Riese und der Schneider.
Einem Schneider, der ein großer Prahler war, aber ein schlechter Zahler, kam es in den Sinn ein wenig auszugehen und sich in dem Wald umzuschauen. Sobald er nur konnte, verließ er seine Werkstatt,
wanderte seinen Weg über Brücke und Steg, bald da, bald dort, immer fort und fort.
Als er nun draußen war, erblickte er in der blauen Ferne einen steilen Berg und dahinter einen himmelhohen Thurm, der aus einem wilden und finstern Wald hervorragte. ‘Potz Blitz!’ rief der Schneider, ‘was ist das?’ und weil ihn die Neugierde gewaltig stach, so gieng er frisch darauf los. Was sperrte er aber Maul und Augen auf, als er in die Nähe kam, denn der Thurm hatte Beine, sprang in einem Satz über den steilen Berg und stand als ein großmächtiger Riese vor dem Schneider. ‘Was willst du hier, du winziges Fliegenbein,’ rief der mit einer Stimme, als wenns von allen Seiten donnerte. Der Schneider wisperte ‘ich will mich umschauen, ob ich mein Stückchen Brot in dem Wald verdienen kann.’ ‘Wenns um die Zeit ist,’ sagte der Riese, ‘so kannst du ja bei mir im Dienst eintreten.’ ‘Wenns sein muß, warum das nicht? was
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183.
Der Riese und der Schneider.
Einem Schneider, der ein großer Prahler war, aber ein schlechter Zahler, kam es in den Sinn ein wenig auszugehen und sich in dem Wald umzuschauen. Sobald er nur konnte, verließ er seine Werkstatt,
wanderte seinen Weg
über Brücke und Steg,
bald da, bald dort,
immer fort und fort.
Als er nun draußen war, erblickte er in der blauen Ferne einen steilen Berg und dahinter einen himmelhohen Thurm, der aus einem wilden und finstern Wald hervorragte. ‘Potz Blitz!’ rief der Schneider, ‘was ist das?’ und weil ihn die Neugierde gewaltig stach, so gieng er frisch darauf los. Was sperrte er aber Maul und Augen auf, als er in die Nähe kam, denn der Thurm hatte Beine, sprang in einem Satz über den steilen Berg und stand als ein großmächtiger Riese vor dem Schneider. ‘Was willst du hier, du winziges Fliegenbein,’ rief der mit einer Stimme, als wenns von allen Seiten donnerte. Der Schneider wisperte ‘ich will mich umschauen, ob ich mein Stückchen Brot in dem Wald verdienen kann.’ ‘Wenns um die Zeit ist,’ sagte der Riese, ‘so kannst du ja bei mir im Dienst eintreten.’ ‘Wenns sein muß, warum das nicht? was
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/460>, abgerufen am 16.02.2025.
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