Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.185. Der arme Junge im Grab. Es war einmal ein armer Hirtenjunge, dem war Vater und Mutter gestorben, und er war von der Obrigkeit einem reichen Mann in das Haus gegeben, der sollte ihn ernähren und erziehen. Der Mann aber und seine Frau hatten ein böses Herz, waren bei allem Reichthum geizig und misgünstig, und ärgerten sich wenn jemand einen Bissen von ihrem Brot in den Mund steckte. Der arme Junge mochte thun was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber destomehr Schläge. Eines Tages sollte er die Glucke mit ihren Küchlein hüten. Es dauerte nicht lange, so verlief sie sich mit ihren Jungen durch einen Heckenzaun: gleich schoß der Habicht herab, und entführte sie durch die Lüfte. Der Junge schrie aus Leibeskräften 'Dieb, Dieb, Spitzbub.' Aber was half das? der Habicht brachte seinen Raub nicht wieder zurück. Der Mann hörte den Lärm, lief herbei, und als er vernahm daß seine Henne weg war, so gerieth er in Wuth, und gab dem Jungen eine solche Tracht Schläge, daß er sich ein paar Tage lang nicht regen konnte. Nun mußte er die Küchlein allein hüten, aber da war die Noth noch größer, das eine lief dahin, das 185. Der arme Junge im Grab. Es war einmal ein armer Hirtenjunge, dem war Vater und Mutter gestorben, und er war von der Obrigkeit einem reichen Mann in das Haus gegeben, der sollte ihn ernähren und erziehen. Der Mann aber und seine Frau hatten ein böses Herz, waren bei allem Reichthum geizig und misgünstig, und ärgerten sich wenn jemand einen Bissen von ihrem Brot in den Mund steckte. Der arme Junge mochte thun was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber destomehr Schläge. Eines Tages sollte er die Glucke mit ihren Küchlein hüten. Es dauerte nicht lange, so verlief sie sich mit ihren Jungen durch einen Heckenzaun: gleich schoß der Habicht herab, und entführte sie durch die Lüfte. Der Junge schrie aus Leibeskräften ‘Dieb, Dieb, Spitzbub.’ Aber was half das? der Habicht brachte seinen Raub nicht wieder zurück. Der Mann hörte den Lärm, lief herbei, und als er vernahm daß seine Henne weg war, so gerieth er in Wuth, und gab dem Jungen eine solche Tracht Schläge, daß er sich ein paar Tage lang nicht regen konnte. Nun mußte er die Küchlein allein hüten, aber da war die Noth noch größer, das eine lief dahin, das <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0451" n="441"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">185.<lb/> Der arme Junge im Grab.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein armer Hirtenjunge, dem war Vater und Mutter gestorben, und er war von der Obrigkeit einem reichen Mann in das Haus gegeben, der sollte ihn ernähren und erziehen. Der Mann aber und seine Frau hatten ein böses Herz, waren bei allem Reichthum geizig und misgünstig, und ärgerten sich wenn jemand einen Bissen von ihrem Brot in den Mund steckte. Der arme Junge mochte thun was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber destomehr Schläge.</p><lb/> <p>Eines Tages sollte er die Glucke mit ihren Küchlein hüten. Es dauerte nicht lange, so verlief sie sich mit ihren Jungen durch einen Heckenzaun: gleich schoß der Habicht herab, und entführte sie durch die Lüfte. Der Junge schrie aus Leibeskräften ‘Dieb, Dieb, Spitzbub.’ Aber was half das? der Habicht brachte seinen Raub nicht wieder zurück. Der Mann hörte den Lärm, lief herbei, und als er vernahm daß seine Henne weg war, so gerieth er in Wuth, und gab dem Jungen eine solche Tracht Schläge, daß er sich ein paar Tage lang nicht regen konnte. Nun mußte er die Küchlein allein hüten, aber da war die Noth noch größer, das eine lief dahin, das </p> </div> </body> </text> </TEI> [441/0451]
185.
Der arme Junge im Grab.
Es war einmal ein armer Hirtenjunge, dem war Vater und Mutter gestorben, und er war von der Obrigkeit einem reichen Mann in das Haus gegeben, der sollte ihn ernähren und erziehen. Der Mann aber und seine Frau hatten ein böses Herz, waren bei allem Reichthum geizig und misgünstig, und ärgerten sich wenn jemand einen Bissen von ihrem Brot in den Mund steckte. Der arme Junge mochte thun was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber destomehr Schläge.
Eines Tages sollte er die Glucke mit ihren Küchlein hüten. Es dauerte nicht lange, so verlief sie sich mit ihren Jungen durch einen Heckenzaun: gleich schoß der Habicht herab, und entführte sie durch die Lüfte. Der Junge schrie aus Leibeskräften ‘Dieb, Dieb, Spitzbub.’ Aber was half das? der Habicht brachte seinen Raub nicht wieder zurück. Der Mann hörte den Lärm, lief herbei, und als er vernahm daß seine Henne weg war, so gerieth er in Wuth, und gab dem Jungen eine solche Tracht Schläge, daß er sich ein paar Tage lang nicht regen konnte. Nun mußte er die Küchlein allein hüten, aber da war die Noth noch größer, das eine lief dahin, das
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