Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.182. Die Erbsenprobe. Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um eine Frau. 'Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein Sohn,' sagte der König, 'aber es will sich nicht schicken daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin, und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus der Ferne.' Es ging also ein offenes Schreiben aus, und es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug. Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. 'Wenn das so fortgeht,' sagte der Prinz, 'so bekomm ich am Ende gar keine Frau.' 'Beruhige dich, mein Söhnchen,' sagte die Königin, 'eh du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.' Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte. Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes Mädchen trat herein, das verlangte 182. Die Erbsenprobe. Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um eine Frau. ‘Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein Sohn,’ sagte der König, ‘aber es will sich nicht schicken daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin, und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus der Ferne.’ Es ging also ein offenes Schreiben aus, und es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug. Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. ‘Wenn das so fortgeht,’ sagte der Prinz, ‘so bekomm ich am Ende gar keine Frau.’ ‘Beruhige dich, mein Söhnchen,’ sagte die Königin, ‘eh du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.’ Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte. Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes Mädchen trat herein, das verlangte <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0443" n="433"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">182.<lb/> Die Erbsenprobe.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um eine Frau. ‘Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein Sohn,’ sagte der König, ‘aber es will sich nicht schicken daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin, und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus der Ferne.’ Es ging also ein offenes Schreiben aus, und es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug. Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. ‘Wenn das so fortgeht,’ sagte der Prinz, ‘so bekomm ich am Ende gar keine Frau.’ ‘Beruhige dich, mein Söhnchen,’ sagte die Königin, ‘eh du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.’ Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte.</p><lb/> <p>Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes Mädchen trat herein, das verlangte </p> </div> </body> </text> </TEI> [433/0443]
182.
Die Erbsenprobe.
Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um eine Frau. ‘Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein Sohn,’ sagte der König, ‘aber es will sich nicht schicken daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin, und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus der Ferne.’ Es ging also ein offenes Schreiben aus, und es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug. Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. ‘Wenn das so fortgeht,’ sagte der Prinz, ‘so bekomm ich am Ende gar keine Frau.’ ‘Beruhige dich, mein Söhnchen,’ sagte die Königin, ‘eh du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.’ Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte.
Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes Mädchen trat herein, das verlangte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-01T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |