Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.Alte schaute nur ein wenig in die Höhe, dann sprach sie 'jetzt ists Zeit, Töchterchen, daß du hinaus gehst, thu deine Arbeit.' Sie stand auf und gieng hinaus. Wo ist sie denn hingegangen? über die Wiesen immer weiter bis in das Thal. Endlich kam sie zu einem Brunnen, bei dem drei alte Eichbäume standen. Der Mond war indessen rund und groß über dem Berg aufgestiegen, und es war so hell, daß man eine Stecknadel hätte finden können. Sie zog eine Haut ab, die auf ihrem Gesicht lag, bückte sich dann zu dem Brunnen und fieng an sich zu waschen. Als sie fertig war, tauchte sie auch die Haut in das Wasser, und legte sie dann auf die Wiese, damit sie wieder im Mondschein bleichen und trocknen sollte. Aber wie war das Mädchen verwandelt! So was habt ihr nie gesehen! Als der graue Zopf abfiel, da quollen die goldenen Haare wie Sonnenstrahlen hervor, und breiteten sich, als wärs ein Mantel, über ihre ganze Gestalt. Nur die Augen blitzten heraus so glänzend wie die Sterne am Himmel, und die Wangen schimmerten in sanfter Röthe wie die Äpfelblüthe. Aber das schöne Mädchen war traurig. Es setzte sich nieder, und weinte bitterlich. Eine Thräne nach der andern drang aus seinen Augen, und rollte zwischen den langen Haaren auf den Boden. So saß es da, und wäre lange sitzen geblieben, wenn es nicht in den Ästen des nahestehenden Baumes geknittert und gerauscht hätte. Sie sprang auf wie ein Reh, das den Schuß des Jägers vernimmt. Der Mond ward plötzlich von einer schwarzen Wolke bedeckt, im Augenblick war das Mädchen wieder in Alte schaute nur ein wenig in die Höhe, dann sprach sie ‘jetzt ists Zeit, Töchterchen, daß du hinaus gehst, thu deine Arbeit.’ Sie stand auf und gieng hinaus. Wo ist sie denn hingegangen? über die Wiesen immer weiter bis in das Thal. Endlich kam sie zu einem Brunnen, bei dem drei alte Eichbäume standen. Der Mond war indessen rund und groß über dem Berg aufgestiegen, und es war so hell, daß man eine Stecknadel hätte finden können. Sie zog eine Haut ab, die auf ihrem Gesicht lag, bückte sich dann zu dem Brunnen und fieng an sich zu waschen. Als sie fertig war, tauchte sie auch die Haut in das Wasser, und legte sie dann auf die Wiese, damit sie wieder im Mondschein bleichen und trocknen sollte. Aber wie war das Mädchen verwandelt! So was habt ihr nie gesehen! Als der graue Zopf abfiel, da quollen die goldenen Haare wie Sonnenstrahlen hervor, und breiteten sich, als wärs ein Mantel, über ihre ganze Gestalt. Nur die Augen blitzten heraus so glänzend wie die Sterne am Himmel, und die Wangen schimmerten in sanfter Röthe wie die Äpfelblüthe. Aber das schöne Mädchen war traurig. Es setzte sich nieder, und weinte bitterlich. Eine Thräne nach der andern drang aus seinen Augen, und rollte zwischen den langen Haaren auf den Boden. So saß es da, und wäre lange sitzen geblieben, wenn es nicht in den Ästen des nahestehenden Baumes geknittert und gerauscht hätte. Sie sprang auf wie ein Reh, das den Schuß des Jägers vernimmt. Der Mond ward plötzlich von einer schwarzen Wolke bedeckt, im Augenblick war das Mädchen wieder in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0426" n="416"/> Alte schaute nur ein wenig in die Höhe, dann sprach sie ‘jetzt ists Zeit, Töchterchen, daß du hinaus gehst, thu deine Arbeit.’</p><lb/> <p>Sie stand auf und gieng hinaus. Wo ist sie denn hingegangen? über die Wiesen immer weiter bis in das Thal. Endlich kam sie zu einem Brunnen, bei dem drei alte Eichbäume standen. Der Mond war indessen rund und groß über dem Berg aufgestiegen, und es war so hell, daß man eine Stecknadel hätte finden können. Sie zog eine Haut ab, die auf ihrem Gesicht lag, bückte sich dann zu dem Brunnen und fieng an sich zu waschen. Als sie fertig war, tauchte sie auch die Haut in das Wasser, und legte sie dann auf die Wiese, damit sie wieder im Mondschein bleichen und trocknen sollte. Aber wie war das Mädchen verwandelt! So was habt ihr nie gesehen! Als der graue Zopf abfiel, da quollen die goldenen Haare wie Sonnenstrahlen hervor, und breiteten sich, als wärs ein Mantel, über ihre ganze Gestalt. Nur die Augen blitzten heraus so glänzend wie die Sterne am Himmel, und die Wangen schimmerten in sanfter Röthe wie die Äpfelblüthe.</p><lb/> <p>Aber das schöne Mädchen war traurig. Es setzte sich nieder, und weinte bitterlich. Eine Thräne nach der andern drang aus seinen Augen, und rollte zwischen den langen Haaren auf den Boden. So saß es da, und wäre lange sitzen geblieben, wenn es nicht in den Ästen des nahestehenden Baumes geknittert und gerauscht hätte. Sie sprang auf wie ein Reh, das den Schuß des Jägers vernimmt. Der Mond ward plötzlich von einer schwarzen Wolke bedeckt, im Augenblick war das Mädchen wieder in </p> </div> </body> </text> </TEI> [416/0426]
Alte schaute nur ein wenig in die Höhe, dann sprach sie ‘jetzt ists Zeit, Töchterchen, daß du hinaus gehst, thu deine Arbeit.’
Sie stand auf und gieng hinaus. Wo ist sie denn hingegangen? über die Wiesen immer weiter bis in das Thal. Endlich kam sie zu einem Brunnen, bei dem drei alte Eichbäume standen. Der Mond war indessen rund und groß über dem Berg aufgestiegen, und es war so hell, daß man eine Stecknadel hätte finden können. Sie zog eine Haut ab, die auf ihrem Gesicht lag, bückte sich dann zu dem Brunnen und fieng an sich zu waschen. Als sie fertig war, tauchte sie auch die Haut in das Wasser, und legte sie dann auf die Wiese, damit sie wieder im Mondschein bleichen und trocknen sollte. Aber wie war das Mädchen verwandelt! So was habt ihr nie gesehen! Als der graue Zopf abfiel, da quollen die goldenen Haare wie Sonnenstrahlen hervor, und breiteten sich, als wärs ein Mantel, über ihre ganze Gestalt. Nur die Augen blitzten heraus so glänzend wie die Sterne am Himmel, und die Wangen schimmerten in sanfter Röthe wie die Äpfelblüthe.
Aber das schöne Mädchen war traurig. Es setzte sich nieder, und weinte bitterlich. Eine Thräne nach der andern drang aus seinen Augen, und rollte zwischen den langen Haaren auf den Boden. So saß es da, und wäre lange sitzen geblieben, wenn es nicht in den Ästen des nahestehenden Baumes geknittert und gerauscht hätte. Sie sprang auf wie ein Reh, das den Schuß des Jägers vernimmt. Der Mond ward plötzlich von einer schwarzen Wolke bedeckt, im Augenblick war das Mädchen wieder in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-01T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |