Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
154.
Der gestohlene Heller.

Es saß einmal ein Vater mit seiner Frau und seinen Kindern Mittags am Tisch, und ein guter Freund, der zum Besuch gekommen war, aß mit ihnen. Und wie sie so saßen, und es zwölf Uhr schlug, da sah der Fremde die Thür aufgehen, und ein schneeweiß gekleidetes, ganz blasses Kindlein hereinkommen. Es blickte sich nicht um, und sprach auch nichts, sondern gieng geradezu in die Kammer neben an. Bald darauf kam es zurück, und gieng eben so still wieder zur Thüre hinaus. Am zweiten und am dritten Tag kam es auf eben diese Weise. Da fragte endlich der Fremde den Vater wem das schöne Kind gehörte das alle Mittag in die Kammer gienge. 'Ich habe es nicht gesehen,' antwortete er, 'und wüßte auch nicht wem es gehören könnte.' Am andern Tage, wie es wieder kam, zeigte es der Fremde dem Vater, der sah es aber nicht, und die Mutter und die Kinder alle sahen auch nichts. Nun stand der Fremde auf, gieng zur Kammerthüre, öffnete sie ein wenig, und schaute hinein. Da sah er das Kind auf der Erde sitzen, und emsig mit den Fingern in den Dielenritzen graben und wühlen; wie es aber den Fremden bemerkte, verschwand es. Nun erzählte er was er gesehen hatte, und beschrieb das Kind [genau,]

154.
Der gestohlene Heller.

Es saß einmal ein Vater mit seiner Frau und seinen Kindern Mittags am Tisch, und ein guter Freund, der zum Besuch gekommen war, aß mit ihnen. Und wie sie so saßen, und es zwölf Uhr schlug, da sah der Fremde die Thür aufgehen, und ein schneeweiß gekleidetes, ganz blasses Kindlein hereinkommen. Es blickte sich nicht um, und sprach auch nichts, sondern gieng geradezu in die Kammer neben an. Bald darauf kam es zurück, und gieng eben so still wieder zur Thüre hinaus. Am zweiten und am dritten Tag kam es auf eben diese Weise. Da fragte endlich der Fremde den Vater wem das schöne Kind gehörte das alle Mittag in die Kammer gienge. ‘Ich habe es nicht gesehen,’ antwortete er, ‘und wüßte auch nicht wem es gehören könnte.’ Am andern Tage, wie es wieder kam, zeigte es der Fremde dem Vater, der sah es aber nicht, und die Mutter und die Kinder alle sahen auch nichts. Nun stand der Fremde auf, gieng zur Kammerthüre, öffnete sie ein wenig, und schaute hinein. Da sah er das Kind auf der Erde sitzen, und emsig mit den Fingern in den Dielenritzen graben und wühlen; wie es aber den Fremden bemerkte, verschwand es. Nun erzählte er was er gesehen hatte, und beschrieb das Kind [genau,]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0329" n="319"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">154.<lb/>
Der gestohlene Heller.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s saß einmal ein Vater mit seiner Frau und seinen Kindern Mittags am Tisch, und ein guter Freund, der zum Besuch gekommen war, aß mit ihnen. Und wie sie so saßen, und es zwölf Uhr schlug, da sah der Fremde die Thür aufgehen, und ein schneeweiß gekleidetes, ganz blasses Kindlein hereinkommen. Es blickte sich nicht um, und sprach auch nichts, sondern gieng geradezu in die Kammer neben an. Bald darauf kam es zurück, und gieng eben so still wieder zur Thüre hinaus. Am zweiten und am dritten Tag kam es auf eben diese Weise. Da fragte endlich der Fremde den Vater wem das schöne Kind gehörte das alle Mittag in die Kammer gienge. &#x2018;Ich habe es nicht gesehen,&#x2019; antwortete er, &#x2018;und wüßte auch nicht wem es gehören könnte.&#x2019; Am andern Tage, wie es wieder kam, zeigte es der Fremde dem Vater, der sah es aber nicht, und die Mutter und die Kinder alle sahen auch nichts. Nun stand der Fremde auf, gieng zur Kammerthüre, öffnete sie ein wenig, und schaute hinein. Da sah er das Kind auf der Erde sitzen, und emsig mit den Fingern in den Dielenritzen graben und wühlen; wie es aber den Fremden bemerkte, verschwand es. Nun erzählte er was er gesehen hatte, und beschrieb das Kind <supplied>genau,</supplied></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0329] 154. Der gestohlene Heller. Es saß einmal ein Vater mit seiner Frau und seinen Kindern Mittags am Tisch, und ein guter Freund, der zum Besuch gekommen war, aß mit ihnen. Und wie sie so saßen, und es zwölf Uhr schlug, da sah der Fremde die Thür aufgehen, und ein schneeweiß gekleidetes, ganz blasses Kindlein hereinkommen. Es blickte sich nicht um, und sprach auch nichts, sondern gieng geradezu in die Kammer neben an. Bald darauf kam es zurück, und gieng eben so still wieder zur Thüre hinaus. Am zweiten und am dritten Tag kam es auf eben diese Weise. Da fragte endlich der Fremde den Vater wem das schöne Kind gehörte das alle Mittag in die Kammer gienge. ‘Ich habe es nicht gesehen,’ antwortete er, ‘und wüßte auch nicht wem es gehören könnte.’ Am andern Tage, wie es wieder kam, zeigte es der Fremde dem Vater, der sah es aber nicht, und die Mutter und die Kinder alle sahen auch nichts. Nun stand der Fremde auf, gieng zur Kammerthüre, öffnete sie ein wenig, und schaute hinein. Da sah er das Kind auf der Erde sitzen, und emsig mit den Fingern in den Dielenritzen graben und wühlen; wie es aber den Fremden bemerkte, verschwand es. Nun erzählte er was er gesehen hatte, und beschrieb das Kind genau,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/329
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/329>, abgerufen am 18.11.2024.