Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.laß der Herr das Geigen, ich begehre nicht zu tanzen.' Aber der Knecht hörte nicht darauf, und dachte 'du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,' und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. 'Au weih geschrien!' rief der Jude, 'geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.' 'Wenn du so spendabel bist,' sprach der Knecht, 'so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß es eine Art hat;' nahm darauf den Beutel, und gieng seiner Wege. Der Jude blieb stehen, und sah ihm nach, und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, 'du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,' und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. 'Herr Richter, au weih geschrien! ich bin auf offener Landstraße beraubt und übel zugerichtet worden von einem gottlosen Menschen, ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! und das Geld mit dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängniß werfen.' Sprach der Richter 'wars laß der Herr das Geigen, ich begehre nicht zu tanzen.’ Aber der Knecht hörte nicht darauf, und dachte ‘du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,’ und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. ‘Au weih geschrien!’ rief der Jude, ‘geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.’ ‘Wenn du so spendabel bist,’ sprach der Knecht, ‘so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß es eine Art hat;’ nahm darauf den Beutel, und gieng seiner Wege. Der Jude blieb stehen, und sah ihm nach, und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, ‘du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! ich bin auf offener Landstraße beraubt und übel zugerichtet worden von einem gottlosen Menschen, ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! und das Geld mit dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängniß werfen.’ Sprach der Richter ‘wars <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0153" n="143"/> laß der Herr das Geigen, ich begehre nicht zu tanzen.’ Aber der Knecht hörte nicht darauf, und dachte ‘du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,’ und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. ‘Au weih geschrien!’ rief der Jude, ‘geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.’ ‘Wenn du so spendabel bist,’ sprach der Knecht, ‘so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß es eine Art hat;’ nahm darauf den Beutel, und gieng seiner Wege.</p><lb/> <p>Der Jude blieb stehen, und sah ihm nach, und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, ‘du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! ich bin auf offener Landstraße beraubt und übel zugerichtet worden von einem gottlosen Menschen, ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! und das Geld mit dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängniß werfen.’ Sprach der Richter ‘wars </p> </div> </body> </text> </TEI> [143/0153]
laß der Herr das Geigen, ich begehre nicht zu tanzen.’ Aber der Knecht hörte nicht darauf, und dachte ‘du hast die Leute genug geschunden, nun soll dirs die Dornhecke nicht besser machen,’ und fieng von neuem an zu geigen, daß der Jude immer höher aufspringen mußte, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. ‘Au weih geschrien!’ rief der Jude, ‘geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen läßt, einen ganzen Beutel mit Gold.’ ‘Wenn du so spendabel bist,’ sprach der Knecht, ‘so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muß ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, daß es eine Art hat;’ nahm darauf den Beutel, und gieng seiner Wege.
Der Jude blieb stehen, und sah ihm nach, und war still bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften, ‘du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! ich will dich jagen, daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! ich bin auf offener Landstraße beraubt und übel zugerichtet worden von einem gottlosen Menschen, ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! und das Geld mit dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängniß werfen.’ Sprach der Richter ‘wars
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