Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.sie betrachteten. 'Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!' schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ, und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst 'lieber Herr Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben, seht, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen: da die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.' Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr. Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach 'Schneeweißchen, Rosenroth, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.' Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte 'ich bin eines Königs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.' sie betrachteten. ‘Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!’ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hoͤren ließ, und ein schwarzer Baͤr aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Baͤr war schon in seiner Naͤhe. Da rief er in Herzensangst ‘lieber Herr Baͤr, verschont mich, ich will euch alle meine Schaͤtze geben, seht, die schoͤnen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmaͤchtigen Kerl? ihr spuͤrt mich nicht zwischen den Zaͤhnen: da die beiden gottlosen Maͤdchen packt, das sind fuͤr euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.’ Der Baͤr kuͤmmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschoͤpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr. Die Maͤdchen waren fortgesprungen, aber der Baͤr rief ihnen nach ‘Schneeweißchen, Rosenroth, fuͤrchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.’ Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Baͤr bei ihnen war, fiel ploͤtzlich die Baͤrenhaut ab, und er stand da als ein schoͤner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte ‘ich bin eines Koͤnigs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schaͤtze gestohlen hatte, verwuͤnscht als ein wilder Baͤr in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erloͤst wuͤrde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0344" n="328"/> sie betrachteten. ‘Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!’ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hoͤren ließ, und ein schwarzer Baͤr aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Baͤr war schon in seiner Naͤhe. Da rief er in Herzensangst ‘lieber Herr Baͤr, verschont mich, ich will euch alle meine Schaͤtze geben, seht, die schoͤnen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmaͤchtigen Kerl? ihr spuͤrt mich nicht zwischen den Zaͤhnen: da die beiden gottlosen Maͤdchen packt, das sind fuͤr euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.’ Der Baͤr kuͤmmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschoͤpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.</p><lb/> <p>Die Maͤdchen waren fortgesprungen, aber der Baͤr rief ihnen nach ‘Schneeweißchen, Rosenroth, fuͤrchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.’ Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Baͤr bei ihnen war, fiel ploͤtzlich die Baͤrenhaut ab, und er stand da als ein schoͤner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte ‘ich bin eines Koͤnigs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schaͤtze gestohlen hatte, verwuͤnscht als ein wilder Baͤr in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erloͤst wuͤrde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.’</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [328/0344]
sie betrachteten. ‘Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!’ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hoͤren ließ, und ein schwarzer Baͤr aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Baͤr war schon in seiner Naͤhe. Da rief er in Herzensangst ‘lieber Herr Baͤr, verschont mich, ich will euch alle meine Schaͤtze geben, seht, die schoͤnen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmaͤchtigen Kerl? ihr spuͤrt mich nicht zwischen den Zaͤhnen: da die beiden gottlosen Maͤdchen packt, das sind fuͤr euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.’ Der Baͤr kuͤmmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschoͤpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.
Die Maͤdchen waren fortgesprungen, aber der Baͤr rief ihnen nach ‘Schneeweißchen, Rosenroth, fuͤrchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.’ Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Baͤr bei ihnen war, fiel ploͤtzlich die Baͤrenhaut ab, und er stand da als ein schoͤner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte ‘ich bin eines Koͤnigs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schaͤtze gestohlen hatte, verwuͤnscht als ein wilder Baͤr in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erloͤst wuͤrde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.’
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/344>, abgerufen am 23.07.2024. |