Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstäubet und darzu spricht: sieh da Wind,
koch' ein Mus für dein Kind!" 8. Das Blut der Kinder macht alles, was es anrührt, wieder rein und gesund oder stellt den natürlichen Zustand wieder her, und zwar darum, weil es selbst als etwas ganz reines betrachtet wird. So vernichtet es in dem Märchen von dem treuen Johannes den Zauber und gibt dem Stein das menschliche Leben wieder. Man hat viele Sagen, daß es allein den sonst unheilbaren Aussatz hat heilen können (s. Armer Heinrich S. 173 ff.). Auf dieser Reinheit der Kinder beruht noch ein anderer Glaube, daß nämlich Mauern über ein Kind gebaut allein unverrücklich fest ständen. Nach einer Dänischen Sage (s. die Sammlung von Thiele I. S. 3.) stürzten die Wälle von Kopenhagen immer wieder ein, bis ein unschuldiges Kind, das man auf einen Stuhl an einen Tisch mit Spielzeug gesetzt und von zwölf Maurern schnell hatte überwölben lassen, zur Grundlage derselben genommen wurde. Verwandt ist die Brittische Sage von dem Gebäude eines Königs, das nicht zu Stande kommen konnte, weil jede Nacht wieder verschwand, was am Tage gebaut war. Worauf die Zauberer behaupteten, es werde nur dann stehen, wenn der Kalk mit dem Blute eines der ohne Vater geboren worden (also eines ganz reinen Kindes), gemischt werde. Das war aber das Kind Merlin. Mart. Poloni chronicon bei Schilter script. rer. ger. p. 353.) Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstaͤubet und darzu spricht: sieh da Wind,
koch’ ein Mus fuͤr dein Kind!“ 8. Das Blut der Kinder macht alles, was es anruͤhrt, wieder rein und gesund oder stellt den natuͤrlichen Zustand wieder her, und zwar darum, weil es selbst als etwas ganz reines betrachtet wird. So vernichtet es in dem Maͤrchen von dem treuen Johannes den Zauber und gibt dem Stein das menschliche Leben wieder. Man hat viele Sagen, daß es allein den sonst unheilbaren Aussatz hat heilen koͤnnen (s. Armer Heinrich S. 173 ff.). Auf dieser Reinheit der Kinder beruht noch ein anderer Glaube, daß naͤmlich Mauern uͤber ein Kind gebaut allein unverruͤcklich fest staͤnden. Nach einer Daͤnischen Sage (s. die Sammlung von Thiele I. S. 3.) stuͤrzten die Waͤlle von Kopenhagen immer wieder ein, bis ein unschuldiges Kind, das man auf einen Stuhl an einen Tisch mit Spielzeug gesetzt und von zwoͤlf Maurern schnell hatte uͤberwoͤlben lassen, zur Grundlage derselben genommen wurde. Verwandt ist die Brittische Sage von dem Gebaͤude eines Koͤnigs, das nicht zu Stande kommen konnte, weil jede Nacht wieder verschwand, was am Tage gebaut war. Worauf die Zauberer behaupteten, es werde nur dann stehen, wenn der Kalk mit dem Blute eines der ohne Vater geboren worden (also eines ganz reinen Kindes), gemischt werde. Das war aber das Kind Merlin. Mart. Poloni chronicon bei Schilter script. rer. ger. p. 353.) <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0073" n="LXVII"/> Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstaͤubet und darzu spricht:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>sieh da Wind,</l><lb/> <l>koch’ ein Mus fuͤr dein Kind!“</l><lb/> </lg> <p>8. Das <hi rendition="#g">Blut</hi> der Kinder macht alles, was es anruͤhrt, wieder rein und gesund oder stellt den natuͤrlichen Zustand wieder her, und zwar darum, weil es selbst als etwas ganz reines betrachtet wird. So vernichtet es in dem Maͤrchen von dem treuen Johannes den Zauber und gibt dem Stein das menschliche Leben wieder. Man hat viele Sagen, daß es allein den sonst unheilbaren Aussatz hat heilen koͤnnen (s. Armer Heinrich S. 173 ff.). Auf dieser Reinheit der Kinder beruht noch ein anderer Glaube, daß naͤmlich Mauern uͤber ein Kind gebaut allein unverruͤcklich fest staͤnden. Nach einer Daͤnischen Sage (s. die Sammlung von Thiele <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 3.) stuͤrzten die Waͤlle von Kopenhagen immer wieder ein, bis ein unschuldiges Kind, das man auf einen Stuhl an einen Tisch mit Spielzeug gesetzt und von zwoͤlf Maurern schnell hatte uͤberwoͤlben lassen, zur Grundlage derselben genommen wurde. Verwandt ist die Brittische Sage von dem Gebaͤude eines Koͤnigs, das nicht zu Stande kommen konnte, weil jede Nacht wieder verschwand, was am Tage gebaut war. Worauf die Zauberer behaupteten, es werde nur dann stehen, wenn der Kalk mit dem Blute eines der ohne Vater geboren worden (also eines ganz reinen Kindes), gemischt werde. Das war aber das Kind Merlin. <hi rendition="#aq">Mart. Poloni chronicon</hi> bei Schilter script. rer. ger. p. 353.)</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [LXVII/0073]
Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstaͤubet und darzu spricht:
sieh da Wind,
koch’ ein Mus fuͤr dein Kind!“
8. Das Blut der Kinder macht alles, was es anruͤhrt, wieder rein und gesund oder stellt den natuͤrlichen Zustand wieder her, und zwar darum, weil es selbst als etwas ganz reines betrachtet wird. So vernichtet es in dem Maͤrchen von dem treuen Johannes den Zauber und gibt dem Stein das menschliche Leben wieder. Man hat viele Sagen, daß es allein den sonst unheilbaren Aussatz hat heilen koͤnnen (s. Armer Heinrich S. 173 ff.). Auf dieser Reinheit der Kinder beruht noch ein anderer Glaube, daß naͤmlich Mauern uͤber ein Kind gebaut allein unverruͤcklich fest staͤnden. Nach einer Daͤnischen Sage (s. die Sammlung von Thiele I. S. 3.) stuͤrzten die Waͤlle von Kopenhagen immer wieder ein, bis ein unschuldiges Kind, das man auf einen Stuhl an einen Tisch mit Spielzeug gesetzt und von zwoͤlf Maurern schnell hatte uͤberwoͤlben lassen, zur Grundlage derselben genommen wurde. Verwandt ist die Brittische Sage von dem Gebaͤude eines Koͤnigs, das nicht zu Stande kommen konnte, weil jede Nacht wieder verschwand, was am Tage gebaut war. Worauf die Zauberer behaupteten, es werde nur dann stehen, wenn der Kalk mit dem Blute eines der ohne Vater geboren worden (also eines ganz reinen Kindes), gemischt werde. Das war aber das Kind Merlin. Mart. Poloni chronicon bei Schilter script. rer. ger. p. 353.)
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.
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