Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.Und kaum hatte es die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tüchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und Löffel, und die schönsten Speisen standen rund herum und waren noch warm, als wären sie eben aus der Küche gekommen. Da sagte Zweiäuglein das kürzeste Gebetlein her, das es wußte: "Herr Gott sey unser Gast zu aller Zeit. Amen!" und langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau es geheißen hatte: "Zicklein, meck!
Tischlein weg!" Alsbald war das Tischchen und alles darauf wieder verschwunden. Das ist ein schöner Haushalt, dachte Zweiäuglein, und war ganz vergnügt und guter Dinge. Abends trieb es seine Ziege heim und rührte das irdene Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, gar nicht an und am andern Tag zog es wieder mit seiner Ziege hinaus und ließ auch die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal achteten es die Schwestern nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen: "es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was wir ihm gegeben, das muß andere Wege gefunden haben." Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein auf die Weide ging und sollte Acht haben, was es da vorhätte und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken brächte. Und kaum hatte es die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tuͤchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und Loͤffel, und die schoͤnsten Speisen standen rund herum und waren noch warm, als waͤren sie eben aus der Kuͤche gekommen. Da sagte Zweiaͤuglein das kuͤrzeste Gebetlein her, das es wußte: „Herr Gott sey unser Gast zu aller Zeit. Amen!“ und langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau es geheißen hatte: „Zicklein, meck!
Tischlein weg!“ Alsbald war das Tischchen und alles darauf wieder verschwunden. Das ist ein schoͤner Haushalt, dachte Zweiaͤuglein, und war ganz vergnuͤgt und guter Dinge. Abends trieb es seine Ziege heim und ruͤhrte das irdene Schuͤsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, gar nicht an und am andern Tag zog es wieder mit seiner Ziege hinaus und ließ auch die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal achteten es die Schwestern nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen: „es ist nicht richtig mit dem Zweiaͤuglein, das laͤßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was wir ihm gegeben, das muß andere Wege gefunden haben.“ Damit sie aber hinter die Wahrheit kaͤmen, sollte Einaͤuglein mitgehen, wenn Zweiaͤuglein auf die Weide ging und sollte Acht haben, was es da vorhaͤtte und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken braͤchte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0292" n="214"/> <p> Und kaum hatte es die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tuͤchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und Loͤffel, und die schoͤnsten Speisen standen rund herum und waren noch warm, als waͤren sie eben aus der Kuͤche gekommen. Da sagte Zweiaͤuglein das kuͤrzeste Gebetlein her, das es wußte: „Herr Gott sey unser Gast zu aller Zeit. Amen!“ und langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau es geheißen hatte:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Zicklein, meck!</l><lb/> <l>Tischlein weg!“</l><lb/> </lg> <p>Alsbald war das Tischchen und alles darauf wieder verschwunden. Das ist ein schoͤner Haushalt, dachte Zweiaͤuglein, und war ganz vergnuͤgt und guter Dinge.</p><lb/> <p>Abends trieb es seine Ziege heim und ruͤhrte das irdene Schuͤsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, gar nicht an und am andern Tag zog es wieder mit seiner Ziege hinaus und ließ auch die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal achteten es die Schwestern nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen: „es ist nicht richtig mit dem Zweiaͤuglein, das laͤßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was wir ihm gegeben, das muß andere Wege gefunden haben.“ Damit sie aber hinter die Wahrheit kaͤmen, sollte Einaͤuglein mitgehen, wenn Zweiaͤuglein auf die Weide ging und sollte Acht haben, was es da vorhaͤtte und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken braͤchte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [214/0292]
Und kaum hatte es die Worte ausgesprochen, so stand da ein Tischlein mit einem weißen Tuͤchlein gedeckt, darauf ein Teller mit Messer und Gabel und Loͤffel, und die schoͤnsten Speisen standen rund herum und waren noch warm, als waͤren sie eben aus der Kuͤche gekommen. Da sagte Zweiaͤuglein das kuͤrzeste Gebetlein her, das es wußte: „Herr Gott sey unser Gast zu aller Zeit. Amen!“ und langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau es geheißen hatte:
„Zicklein, meck!
Tischlein weg!“
Alsbald war das Tischchen und alles darauf wieder verschwunden. Das ist ein schoͤner Haushalt, dachte Zweiaͤuglein, und war ganz vergnuͤgt und guter Dinge.
Abends trieb es seine Ziege heim und ruͤhrte das irdene Schuͤsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, gar nicht an und am andern Tag zog es wieder mit seiner Ziege hinaus und ließ auch die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal achteten es die Schwestern nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen: „es ist nicht richtig mit dem Zweiaͤuglein, das laͤßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was wir ihm gegeben, das muß andere Wege gefunden haben.“ Damit sie aber hinter die Wahrheit kaͤmen, sollte Einaͤuglein mitgehen, wenn Zweiaͤuglein auf die Weide ging und sollte Acht haben, was es da vorhaͤtte und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken braͤchte.
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/292>, abgerufen am 16.02.2025. |