Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.127.
Der Eisen-Ofen. Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat, ward ein Königssohn von einer alten Hexe verwünscht, daß er im Walde in einem großen Eisen-Ofen sitzen sollte. Da brachte er nun viele Jahre zu und konnte ihn niemand erlösen. Einmal kam eine Königstochter in den Wald, die hatte sich irr gegangen und konnte ihres Vaters Reich nicht wieder finden; neun Tage war sie so herum gegangen und stand zuletzt vor dem eisernen Kasten. Da fragte er sie: "wo kommst du her, und wo willst du hin?" Sie antwortete: "ich habe meines Vaters Königreich verloren und kann nicht wieder nach Haus kommen." Da sprach's aus dem Eisen-Ofen: "ich will dir wieder nach Haus verhelfen in einer kurzen Zeit, wann du dich willst unterschreiben, zu thun, was ich verlange. Jch bin ein größerer Königssohn, als du eine Königstochter und will dich heirathen." Da erschrak sie und dachte: "lieber Gott, was soll ich mit dem Eisen-Ofen anfangen!" weil sie aber gern wieder zu ihrem Vater heim wollte, unterschrieb sie sich doch, zu thun, was er verlangte. Er sprach aber: "du sollst wiederkommen, ein Messer mitbringen und ein Loch in das Eisen schrappen;" dann gab er ihr jemand zum Gefährten, der ging nebenher und sprach nicht, er brachte sie aber in zwei Stunden nach Haus. Nun war große Freude im Schloß, als die Königstochter wieder kam, und der alte König fiel ihr um den Hals und küßte sie. Sie war aber sehr betrübt und sprach: "lieber 127.
Der Eisen-Ofen. Zur Zeit, wo das Wuͤnschen noch geholfen hat, ward ein Koͤnigssohn von einer alten Hexe verwuͤnscht, daß er im Walde in einem großen Eisen-Ofen sitzen sollte. Da brachte er nun viele Jahre zu und konnte ihn niemand erloͤsen. Einmal kam eine Koͤnigstochter in den Wald, die hatte sich irr gegangen und konnte ihres Vaters Reich nicht wieder finden; neun Tage war sie so herum gegangen und stand zuletzt vor dem eisernen Kasten. Da fragte er sie: „wo kommst du her, und wo willst du hin?“ Sie antwortete: „ich habe meines Vaters Koͤnigreich verloren und kann nicht wieder nach Haus kommen.“ Da sprach’s aus dem Eisen-Ofen: „ich will dir wieder nach Haus verhelfen in einer kurzen Zeit, wann du dich willst unterschreiben, zu thun, was ich verlange. Jch bin ein groͤßerer Koͤnigssohn, als du eine Koͤnigstochter und will dich heirathen.“ Da erschrak sie und dachte: „lieber Gott, was soll ich mit dem Eisen-Ofen anfangen!“ weil sie aber gern wieder zu ihrem Vater heim wollte, unterschrieb sie sich doch, zu thun, was er verlangte. Er sprach aber: „du sollst wiederkommen, ein Messer mitbringen und ein Loch in das Eisen schrappen;“ dann gab er ihr jemand zum Gefaͤhrten, der ging nebenher und sprach nicht, er brachte sie aber in zwei Stunden nach Haus. Nun war große Freude im Schloß, als die Koͤnigstochter wieder kam, und der alte Koͤnig fiel ihr um den Hals und kuͤßte sie. Sie war aber sehr betruͤbt und sprach: „lieber <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0275" n="197"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">127.<lb/> Der Eisen-Ofen.</hi> </head><lb/> <p>Zur Zeit, wo das Wuͤnschen noch geholfen hat, ward ein Koͤnigssohn von einer alten Hexe verwuͤnscht, daß er im Walde in einem großen Eisen-Ofen sitzen sollte. Da brachte er nun viele Jahre zu und konnte ihn niemand erloͤsen. Einmal kam eine Koͤnigstochter in den Wald, die hatte sich irr gegangen und konnte ihres Vaters Reich nicht wieder finden; neun Tage war sie so herum gegangen und stand zuletzt vor dem eisernen Kasten. Da fragte er sie: „wo kommst du her, und wo willst du hin?“ Sie antwortete: „ich habe meines Vaters Koͤnigreich verloren und kann nicht wieder nach Haus kommen.“ Da sprach’s aus dem Eisen-Ofen: „ich will dir wieder nach Haus verhelfen in einer kurzen Zeit, wann du dich willst unterschreiben, zu thun, was ich verlange. Jch bin ein groͤßerer Koͤnigssohn, als du eine Koͤnigstochter und will dich heirathen.“ Da erschrak sie und dachte: „lieber Gott, was soll ich mit dem Eisen-Ofen anfangen!“ weil sie aber gern wieder zu ihrem Vater heim wollte, unterschrieb sie sich doch, zu thun, was er verlangte. Er sprach aber: „du sollst wiederkommen, ein Messer mitbringen und ein Loch in das Eisen schrappen;“ dann gab er ihr jemand zum Gefaͤhrten, der ging nebenher und sprach nicht, er brachte sie aber in zwei Stunden nach Haus. Nun war große Freude im Schloß, als die Koͤnigstochter wieder kam, und der alte Koͤnig fiel ihr um den Hals und kuͤßte sie. Sie war aber sehr betruͤbt und sprach: „lieber </p> </div> </body> </text> </TEI> [197/0275]
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Der Eisen-Ofen.
Zur Zeit, wo das Wuͤnschen noch geholfen hat, ward ein Koͤnigssohn von einer alten Hexe verwuͤnscht, daß er im Walde in einem großen Eisen-Ofen sitzen sollte. Da brachte er nun viele Jahre zu und konnte ihn niemand erloͤsen. Einmal kam eine Koͤnigstochter in den Wald, die hatte sich irr gegangen und konnte ihres Vaters Reich nicht wieder finden; neun Tage war sie so herum gegangen und stand zuletzt vor dem eisernen Kasten. Da fragte er sie: „wo kommst du her, und wo willst du hin?“ Sie antwortete: „ich habe meines Vaters Koͤnigreich verloren und kann nicht wieder nach Haus kommen.“ Da sprach’s aus dem Eisen-Ofen: „ich will dir wieder nach Haus verhelfen in einer kurzen Zeit, wann du dich willst unterschreiben, zu thun, was ich verlange. Jch bin ein groͤßerer Koͤnigssohn, als du eine Koͤnigstochter und will dich heirathen.“ Da erschrak sie und dachte: „lieber Gott, was soll ich mit dem Eisen-Ofen anfangen!“ weil sie aber gern wieder zu ihrem Vater heim wollte, unterschrieb sie sich doch, zu thun, was er verlangte. Er sprach aber: „du sollst wiederkommen, ein Messer mitbringen und ein Loch in das Eisen schrappen;“ dann gab er ihr jemand zum Gefaͤhrten, der ging nebenher und sprach nicht, er brachte sie aber in zwei Stunden nach Haus. Nun war große Freude im Schloß, als die Koͤnigstochter wieder kam, und der alte Koͤnig fiel ihr um den Hals und kuͤßte sie. Sie war aber sehr betruͤbt und sprach: „lieber
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/275>, abgerufen am 16.02.2025. |