Ein Bruchstück und verworren. Wird in Stil- lings Jünglingsjahren erzählt, scheint aber ein altes Volksmärchen, wobei die es vortragende Amme oder Mutter, den zuhörenden Kindern vielleicht auch den Gang der krummen, gebückten Alten mit dem Stock in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt, vermuthlich rächt sich das Bettelweib durch eine Ver- wünschung, wie man mehr Sagen von eintretenden pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungestraft beleidigt. Es ist merkwürdig, daß der in Bettlerge- wand verhüllte Odin unter dem Namen Grimnir in die Königshalle einkehrt und ihm die Kleider am Feuer zu brennen anfangen. Der eine Jüngling bringt ihm ein Horn zu trinken, während ihn der andere hatte zwischen die Flamme sitzen lassen. Zu spät merkt der des Pilgers Göttlichkeit, will ihn aus der Flamme ziehen, fällt aber in sein eigen Schwert.
65. Die drei Faulen.
Schimpf und Ernst Cap. 243. Die Gesta Ro- manor. (deutsche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben das Märchen auch, doch so, daß der, welcher sich lieber verbrennen will, der erste ist; welcher sich lie- ber will aufhenken lassen, der zweite: der dritte aber spricht: "läge ich in meinem Bett und mir fielen die Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen ausschlagen." Fischart im Gargantua 79b erzählt einen andern Fall von dem faulen Heinz: "eben wie jener Knecht, da man ihn früh weckt: o de Vägel- ken pipen schun in de Nörken! oh, lat pipen, sahd he lat pipen, de Vägelkens hefen klene Höfdken, hefen bale utgeslapen, averst min Höfedken is tomal gar grot, deit ime Noht me to slapen."
64. Die alte Bettelfrau.
Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil- lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt, vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver- wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge- wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling bringt ihm ein Horn zu trinken, waͤhrend ihn der andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert.
65. Die drei Faulen.
Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro- manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie- ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen ausſchlagen.“ Fiſchart im Gargantua 79b erzaͤhlt einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel- ken pipen ſchun in de Noͤrken! oh, lat pipen, ſahd he lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen bale utgeſlapen, averſt min Hoͤfedken is tomal gar grot, deit ime Noht me to ſlapen.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0367"n="XXXXVIII[XLVIII]"/><divn="2"><head>64.<lb/><hirendition="#g">Die alte Bettelfrau</hi>.</head><lb/><p>Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil-<lb/>
lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes<lb/>
Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder<lb/>
Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den<lb/>
Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock<lb/>
in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt,<lb/>
vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver-<lb/>
wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden<lb/>
pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft<lb/>
beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge-<lb/>
wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in<lb/>
die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am<lb/>
Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling<lb/>
bringt ihm ein Horn zu <choice><sic>trinkeu</sic><corr>trinken</corr></choice>, waͤhrend ihn der<lb/>
andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu<lb/>ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus<lb/>
der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert.</p></div><lb/><divn="2"><head>65.<lb/><hirendition="#g">Die drei Faulen</hi>.</head><lb/><p>Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro-<lb/>
manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben<lb/>
das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich<lb/>
lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie-<lb/>
ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber<lb/>ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die<lb/>
Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine<lb/>
Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen<lb/><choice><sic>ausſchlahen</sic><corr>ausſchlagen</corr></choice>.“ Fiſchart im Gargantua 79<hirendition="#aq">b</hi> erzaͤhlt<lb/>
einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie<lb/>
jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel-<lb/>
ken pipen ſchun in de <choice><sic>Roͤrken</sic><corr>Noͤrken</corr></choice>! oh, lat pipen, ſahd he<lb/>
lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen<lb/>
bale utgeſlapen, averſt min Hoͤfedken is tomal gar<lb/>
grot, deit ime Noht me to ſlapen.“</p></div><lb/></div></body></text></TEI>
[XXXXVIII[XLVIII]/0367]
64.
Die alte Bettelfrau.
Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil-
lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes
Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder
Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den
Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock
in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt,
vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver-
wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden
pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft
beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge-
wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in
die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am
Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling
bringt ihm ein Horn zu trinken, waͤhrend ihn der
andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu
ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus
der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert.
65.
Die drei Faulen.
Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro-
manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben
das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich
lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie-
ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber
ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die
Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine
Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen
ausſchlagen.“ Fiſchart im Gargantua 79b erzaͤhlt
einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie
jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel-
ken pipen ſchun in de Noͤrken! oh, lat pipen, ſahd he
lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen
bale utgeſlapen, averſt min Hoͤfedken is tomal gar
grot, deit ime Noht me to ſlapen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXXXVIII[XLVIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/367>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.