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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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Leinwand, das rollte sich auf bis zu Abend und er-
füllte die ganze Stube mit Reichthum. Die andere
böse Frau verscherzt dieselbe Gabe damit, daß sie im
Vorübergehn ihrem grunzenden Schwein in Gedan-
ken an ihr Glück Wasser vorgibt, nun muß sie den
ganzen Tag in einem Wasser tragen, daß ihr Haus
überschwemmt wird und die ganze Gegend. (s. unten
Nr. 17. das Märchen vom Brei). In Naubert
Volksmärchen I. 201 -- 209. wird eine ähnliche Ge-
schichte auch schön ausgeführt und dem segenreichen
Leinwandmessen ein unseliger Spinnenwebwachsthum
entgegenstellt.

2.
Das singende, springende Löweneckerchen.

(Aus Hessen.) Für sich bestehend und eigenthüm-
lich schön und doch mannigfach mit andern verwandt.
Wegen des Eingangs mit dem Sommer- und Win-
tergarten (I. 68.) vgl. die dortigen Anmerkungen.
Nach einer anderen Erzählung bittet sich die jüngste
aus, was dem Vater zuerst begegnet, das sind drei
Lilien; wie er sie abbricht, springt ein Drache hervor,
dem er das Mädchen dafür versprechen muß. Noch
näher kommt unten Nr. 41. der Eisenofen (s. die An-
merkung dazu) und Prinz Schwan I. 59., nur sind
die Gestirne hier bedeutender und reden in alten
Formen und Sprüchen. Ihre Thätigkeit und Mitge-
fühl erscheint auch in der Erzählung von der Eva in
der Weltchronik (Cass. Hdschr. Fol 21 a). Sie bit-
tet Sonne und Sterne, wenn sie zum Orient kom-
men, dem Adam ihre Noth zu sagen und sie voll-
bringen es auch. Mit dem Märchen von Amor (dem
Löwen-Reuter) und Psyche stimmt dieses auch dar-
in, daß Licht das Unglück bringt und die überall
entfesselnde Nacht den Zauber jedesmal löst. In
der Braunschweig. Sammlung hat das Märchen
"vom singenden, klingenden Bäumchen," das gleich-
falls ein Löwe bewacht, einigen Zusammenhang.
Löweneckerchen ist das Westph. Lauberken, nie-
ders. Leverken, altholl. Leeuwercke, Leewe-
rick, Lewerk, Lerk, Lerche
.

Leinwand, das rollte ſich auf bis zu Abend und er-
fuͤllte die ganze Stube mit Reichthum. Die andere
boͤſe Frau verſcherzt dieſelbe Gabe damit, daß ſie im
Voruͤbergehn ihrem grunzenden Schwein in Gedan-
ken an ihr Gluͤck Waſſer vorgibt, nun muß ſie den
ganzen Tag in einem Waſſer tragen, daß ihr Haus
uͤberſchwemmt wird und die ganze Gegend. (ſ. unten
Nr. 17. das Maͤrchen vom Brei). In Naubert
Volksmaͤrchen I. 201 — 209. wird eine aͤhnliche Ge-
ſchichte auch ſchoͤn ausgefuͤhrt und dem ſegenreichen
Leinwandmeſſen ein unſeliger Spinnenwebwachsthum
entgegenſtellt.

2.
Das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen.

(Aus Heſſen.) Fuͤr ſich beſtehend und eigenthuͤm-
lich ſchoͤn und doch mannigfach mit andern verwandt.
Wegen des Eingangs mit dem Sommer- und Win-
tergarten (I. 68.) vgl. die dortigen Anmerkungen.
Nach einer anderen Erzaͤhlung bittet ſich die juͤngſte
aus, was dem Vater zuerſt begegnet, das ſind drei
Lilien; wie er ſie abbricht, ſpringt ein Drache hervor,
dem er das Maͤdchen dafuͤr verſprechen muß. Noch
naͤher kommt unten Nr. 41. der Eiſenofen (ſ. die An-
merkung dazu) und Prinz Schwan I. 59., nur ſind
die Geſtirne hier bedeutender und reden in alten
Formen und Spruͤchen. Ihre Thaͤtigkeit und Mitge-
fuͤhl erſcheint auch in der Erzaͤhlung von der Eva in
der Weltchronik (Caſſ. Hdſchr. Fol 21 a). Sie bit-
tet Sonne und Sterne, wenn ſie zum Orient kom-
men, dem Adam ihre Noth zu ſagen und ſie voll-
bringen es auch. Mit dem Maͤrchen von Amor (dem
Loͤwen-Reuter) und Pſyche ſtimmt dieſes auch dar-
in, daß Licht das Ungluͤck bringt und die uͤberall
entfeſſelnde Nacht den Zauber jedesmal loͤſt. In
der Braunſchweig. Sammlung hat das Maͤrchen
„vom ſingenden, klingenden Baͤumchen,“ das gleich-
falls ein Loͤwe bewacht, einigen Zuſammenhang.
Loͤweneckerchen iſt das Weſtph. Lauberken, nie-
derſ. Leverken, altholl. Leeuwercke, Leewe-
rick, Lewerk, Lerk, Lerche
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[IV/0323] Leinwand, das rollte ſich auf bis zu Abend und er- fuͤllte die ganze Stube mit Reichthum. Die andere boͤſe Frau verſcherzt dieſelbe Gabe damit, daß ſie im Voruͤbergehn ihrem grunzenden Schwein in Gedan- ken an ihr Gluͤck Waſſer vorgibt, nun muß ſie den ganzen Tag in einem Waſſer tragen, daß ihr Haus uͤberſchwemmt wird und die ganze Gegend. (ſ. unten Nr. 17. das Maͤrchen vom Brei). In Naubert Volksmaͤrchen I. 201 — 209. wird eine aͤhnliche Ge- ſchichte auch ſchoͤn ausgefuͤhrt und dem ſegenreichen Leinwandmeſſen ein unſeliger Spinnenwebwachsthum entgegenſtellt. 2. Das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen. (Aus Heſſen.) Fuͤr ſich beſtehend und eigenthuͤm- lich ſchoͤn und doch mannigfach mit andern verwandt. Wegen des Eingangs mit dem Sommer- und Win- tergarten (I. 68.) vgl. die dortigen Anmerkungen. Nach einer anderen Erzaͤhlung bittet ſich die juͤngſte aus, was dem Vater zuerſt begegnet, das ſind drei Lilien; wie er ſie abbricht, ſpringt ein Drache hervor, dem er das Maͤdchen dafuͤr verſprechen muß. Noch naͤher kommt unten Nr. 41. der Eiſenofen (ſ. die An- merkung dazu) und Prinz Schwan I. 59., nur ſind die Geſtirne hier bedeutender und reden in alten Formen und Spruͤchen. Ihre Thaͤtigkeit und Mitge- fuͤhl erſcheint auch in der Erzaͤhlung von der Eva in der Weltchronik (Caſſ. Hdſchr. Fol 21 a). Sie bit- tet Sonne und Sterne, wenn ſie zum Orient kom- men, dem Adam ihre Noth zu ſagen und ſie voll- bringen es auch. Mit dem Maͤrchen von Amor (dem Loͤwen-Reuter) und Pſyche ſtimmt dieſes auch dar- in, daß Licht das Ungluͤck bringt und die uͤberall entfeſſelnde Nacht den Zauber jedesmal loͤſt. In der Braunſchweig. Sammlung hat das Maͤrchen „vom ſingenden, klingenden Baͤumchen,“ das gleich- falls ein Loͤwe bewacht, einigen Zuſammenhang. Loͤweneckerchen iſt das Weſtph. Lauberken, nie- derſ. Leverken, altholl. Leeuwercke, Leewe- rick, Lewerk, Lerk, Lerche.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/323>, abgerufen am 18.11.2024.