umziehen, aber sie war nicht zu finden. Da er- schrack er und sprach voll Trauer und Angst: "Nun muß ich sehen, daß ich entfliehe." Wie er hinaustrat, stand aber der König da und sprach: "Ei! mein Sohn, wohin so eilig, was hast du im Sinn? Bleib hier; du bist ein so schöner Mann, du sollst nicht wieder von mir; ich geb' dir jetzt mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommst du es ganz." "So wünsch' ich dem guten An- fang auch ein gutes Ende," sprach der Jüngling, "ich bleibe bei euch." Da gab ihm der Alte das halbe Reich, und als er nach einem Jahr starb, hatte er das ganze, und nach dem Tode seines Va- ters noch eins dazu, und lebte reich und vergnügt.
59. Der undankbare Sohn.
Es saß einmal ein Mann mit seiner Frau vor der Hausthür, und hatten ein gebraten Huhn vor sich stehen, und wollten das zusammen ver- zehren, da sah der Mann, wie sein alter Vater daher kam, geschwind nahm er das Huhn und versteckt[ - 1 Zeichen fehlt] es, weil er ihm nichts davon gönnte. Der Alte kam, that einen Trunk und ging fort. Nun wollte der Sohn das gebratene Huhn wieder auf den Tisch tragen, aber als er darnach griff, war es eine große Kröte geworden, die sprang ihm in's Angesicht, und saß da und ging nicht
umziehen, aber ſie war nicht zu finden. Da er- ſchrack er und ſprach voll Trauer und Angſt: „Nun muß ich ſehen, daß ich entfliehe.“ Wie er hinaustrat, ſtand aber der Koͤnig da und ſprach: „Ei! mein Sohn, wohin ſo eilig, was haſt du im Sinn? Bleib hier; du biſt ein ſo ſchoͤner Mann, du ſollſt nicht wieder von mir; ich geb’ dir jetzt mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommſt du es ganz.“ „So wuͤnſch’ ich dem guten An- fang auch ein gutes Ende,“ ſprach der Juͤngling, „ich bleibe bei euch.“ Da gab ihm der Alte das halbe Reich, und als er nach einem Jahr ſtarb, hatte er das ganze, und nach dem Tode ſeines Va- ters noch eins dazu, und lebte reich und vergnuͤgt.
59. Der undankbare Sohn.
Es ſaß einmal ein Mann mit ſeiner Frau vor der Hausthuͤr, und hatten ein gebraten Huhn vor ſich ſtehen, und wollten das zuſammen ver- zehren, da ſah der Mann, wie ſein alter Vater daher kam, geſchwind nahm er das Huhn und verſteckt[ – 1 Zeichen fehlt] es, weil er ihm nichts davon goͤnnte. Der Alte kam, that einen Trunk und ging fort. Nun wollte der Sohn das gebratene Huhn wieder auf den Tiſch tragen, aber als er darnach griff, war es eine große Kroͤte geworden, die ſprang ihm in’s Angeſicht, und ſaß da und ging nicht
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umziehen, aber ſie war nicht zu finden. Da er-
ſchrack er und ſprach voll Trauer und Angſt:
„Nun muß ich ſehen, daß ich entfliehe.“ Wie
er hinaustrat, ſtand aber der Koͤnig da und ſprach:
„Ei! mein Sohn, wohin ſo eilig, was haſt du im
Sinn? Bleib hier; du biſt ein ſo ſchoͤner Mann,
du ſollſt nicht wieder von mir; ich geb’ dir jetzt
mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommſt
du es ganz.“ „So wuͤnſch’ ich dem guten An-
fang auch ein gutes Ende,“ ſprach der Juͤngling,
„ich bleibe bei euch.“ Da gab ihm der Alte das
halbe Reich, und als er nach einem Jahr ſtarb,
hatte er das ganze, und nach dem Tode ſeines Va-
ters noch eins dazu, und lebte reich und vergnuͤgt.
59.
Der undankbare Sohn.
Es ſaß einmal ein Mann mit ſeiner Frau
vor der Hausthuͤr, und hatten ein gebraten Huhn
vor ſich ſtehen, und wollten das zuſammen ver-
zehren, da ſah der Mann, wie ſein alter Vater
daher kam, geſchwind nahm er das Huhn und
verſteckt_ es, weil er ihm nichts davon goͤnnte.
Der Alte kam, that einen Trunk und ging fort.
Nun wollte der Sohn das gebratene Huhn wieder
auf den Tiſch tragen, aber als er darnach griff,
war es eine große Kroͤte geworden, die ſprang
ihm in’s Angeſicht, und ſaß da und ging nicht
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/302>, abgerufen am 18.11.2024.
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