Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stief- tochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen ge- gangen und fragte: "wo führt der Weg ins Dorf?" "Ei, sprach die Mutter, sucht ihn sel- ber," und die Tochter setzte noch hinzu: "habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so bringt euch einen Wegweiser mit." Die Stieftochter aber sprach: "armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir." Da erzürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu, und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht, und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnädig und ging mit ihr, und als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte: "wähl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren." Da sprach das Mädchen: "ich mögte gern schön werden, wie die Sonne," alsbald wurde sie weiß und schön, wie der Tag. "Dann mögte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde;" den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber: "vergiß das Beste nicht, meine Toch- ter!" Sagte sie: "ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode." Das
49. Die weiße und ſchwarze Braut.
Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stief- tochter uͤber Feld, Futter zu ſchneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen ge- gangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins Dorf?“ „Ei, ſprach die Mutter, ſucht ihn ſel- ber,“ und die Tochter ſetzte noch hinzu: „habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, ſo bringt euch einen Wegweiſer mit.“ Die Stieftochter aber ſprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren, komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Ruͤcken zu, und verwuͤnſchte ſie, daß ſie ſollten ſchwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als ſie nah am Dorf waren, ſprach er einen Segen uͤber ſie und ſagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewaͤhren.“ Da ſprach das Maͤdchen: „ich moͤgte gern ſchoͤn werden, wie die Sonne,“ alsbald wurde ſie weiß und ſchoͤn, wie der Tag. „Dann moͤgte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer wuͤrde;“ den gab ihr der liebe Gott auch, ſprach aber: „vergiß das Beſte nicht, meine Toch- ter!“ Sagte ſie: „ich wuͤnſche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.“ Das
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49.
Die weiße und ſchwarze Braut.
Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stief-
tochter uͤber Feld, Futter zu ſchneiden. Da kam
der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen ge-
gangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins
Dorf?“ „Ei, ſprach die Mutter, ſucht ihn ſel-
ber,“ und die Tochter ſetzte noch hinzu: „habt
ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, ſo bringt
euch einen Wegweiſer mit.“ Die Stieftochter
aber ſprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren,
komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott
uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den
Ruͤcken zu, und verwuͤnſchte ſie, daß ſie ſollten
ſchwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie
die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward
Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als ſie nah
am Dorf waren, ſprach er einen Segen uͤber ſie
und ſagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will
ich dir gewaͤhren.“ Da ſprach das Maͤdchen:
„ich moͤgte gern ſchoͤn werden, wie die Sonne,“
alsbald wurde ſie weiß und ſchoͤn, wie der Tag.
„Dann moͤgte ich einen Geldbeutel haben, der nie
leer wuͤrde;“ den gab ihr der liebe Gott auch,
ſprach aber: „vergiß das Beſte nicht, meine Toch-
ter!“ Sagte ſie: „ich wuͤnſche mir zum dritten
das ewige Himmelreich nach meinem Tode.“ Das
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/274>, abgerufen am 18.11.2024.
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