erste Bund aber ist, daß du mir einen Ring wie- der bringst, den ich ins rothe Meer habe fallen lassen." Der Prinz sagte: "den Bund will ich lösen," und rief seinen Diener mit den hellen Au- gen, und der schaute ins Meer bis auf den Grund, und sah den Ring da neben einem Stei- ne liegen. Darnach kam der Dicke, der setzte seinen Mund ans Meer und ließ die Wellen hin- ein laufen, und trank es aus, daß es trocken ward wie eine Wiese; da bückte sich der Lange nur ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Der Prinz brachte ihn der Alten, die sprach mit Verwunderung: "Ja, das ist der rechte Ring; einen Bund hast du gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor mei- nem Schloß, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren, und darfst nicht mehr als ei- nen einzigen Gast dazu einladen, und unten im Keller, da liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dabei austrinken, und bleibt ein Spür- chen und ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Le- ben verfallen." Der Prinz sprach: "Das will ich vollbringen," und setzte den Dicken als seinen Gast zu sich, der aß die dreihundert Ochsen auf- und blieb kein Haar übrig, und trank den Wein dazu gleich aus den Fässern selber, ohne daß er ein Glas nöthig hatte. Als die alte Zauberin das sah, erstaunte sie und sprach zum Prinzen:
erſte Bund aber iſt, daß du mir einen Ring wie- der bringſt, den ich ins rothe Meer habe fallen laſſen.“ Der Prinz ſagte: „den Bund will ich loͤſen,“ und rief ſeinen Diener mit den hellen Au- gen, und der ſchaute ins Meer bis auf den Grund, und ſah den Ring da neben einem Stei- ne liegen. Darnach kam der Dicke, der ſetzte ſeinen Mund ans Meer und ließ die Wellen hin- ein laufen, und trank es aus, daß es trocken ward wie eine Wieſe; da buͤckte ſich der Lange nur ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Der Prinz brachte ihn der Alten, die ſprach mit Verwunderung: „Ja, das iſt der rechte Ring; einen Bund haſt du geloͤſt, aber nun kommt der zweite. Siehſt du dort auf der Wieſe vor mei- nem Schloß, da weiden dreihundert fette Ochſen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hoͤrnern verzehren, und darfſt nicht mehr als ei- nen einzigen Gaſt dazu einladen, und unten im Keller, da liegen dreihundert Faͤſſer Wein, die mußt du dabei austrinken, und bleibt ein Spuͤr- chen und ein Troͤpfchen uͤbrig, ſo iſt mir dein Le- ben verfallen.“ Der Prinz ſprach: „Das will ich vollbringen,“ und ſetzte den Dicken als ſeinen Gaſt zu ſich, der aß die dreihundert Ochſen auf- und blieb kein Haar uͤbrig, und trank den Wein dazu gleich aus den Faͤſſern ſelber, ohne daß er ein Glas noͤthig hatte. Als die alte Zauberin das ſah, erſtaunte ſie und ſprach zum Prinzen:
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erſte Bund aber iſt, daß du mir einen Ring wie-
der bringſt, den ich ins rothe Meer habe fallen
laſſen.“ Der Prinz ſagte: „den Bund will ich
loͤſen,“ und rief ſeinen Diener mit den hellen Au-
gen, und der ſchaute ins Meer bis auf den
Grund, und ſah den Ring da neben einem Stei-
ne liegen. Darnach kam der Dicke, der ſetzte
ſeinen Mund ans Meer und ließ die Wellen hin-
ein laufen, und trank es aus, daß es trocken ward
wie eine Wieſe; da buͤckte ſich der Lange nur ein
wenig und holte den Ring mit der Hand heraus.
Der Prinz brachte ihn der Alten, die ſprach mit
Verwunderung: „Ja, das iſt der rechte Ring;
einen Bund haſt du geloͤſt, aber nun kommt der
zweite. Siehſt du dort auf der Wieſe vor mei-
nem Schloß, da weiden dreihundert fette Ochſen,
die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und
Hoͤrnern verzehren, und darfſt nicht mehr als ei-
nen einzigen Gaſt dazu einladen, und unten im
Keller, da liegen dreihundert Faͤſſer Wein, die
mußt du dabei austrinken, und bleibt ein Spuͤr-
chen und ein Troͤpfchen uͤbrig, ſo iſt mir dein Le-
ben verfallen.“ Der Prinz ſprach: „Das will
ich vollbringen,“ und ſetzte den Dicken als ſeinen
Gaſt zu ſich, der aß die dreihundert Ochſen auf-
und blieb kein Haar uͤbrig, und trank den Wein
dazu gleich aus den Faͤſſern ſelber, ohne daß er
ein Glas noͤthig hatte. Als die alte Zauberin
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/269>, abgerufen am 23.12.2024.
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