Ueberlang, als sie schon zwei Kinder hatten, starben Schwiegervater und Schwiegermutter und die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines Morgens, wie der Mann auf dem Tisch vor dem Fenster saß, brachte ihm die Frau den Kaffee und als er ihn in die Unterschale ausgegossen hatte und eben trinken wollte, da schien die Sonne darauf und blinkte oben an der Wand so hin und her und machte Kringel daran. Da sah der Schneider hinauf und sprach: "ja, die will's gern an den Tag bringen und kann's nicht!" Die Frau sprach: "ei! lieber Mann, was ist denn das? was meinst du damit?" Er antwortete: "das darf ich dir nicht sagen." Sie aber sprach: "wenn du mich lieb hast, mußt du mir's sagen" und gab ihm die allerbesten Worte, es sollt's kein Mensch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe. Da erzählte er, vor langen Jahren, wie er auf der Wanderschaft ganz abgerissen und ohne Geld gewesen, habe er einen Juden erschlagen und der Jude habe in der letzten Todesangst die Worte gesprochen: "die klare Sonne wird's an den Tag bringen." Nun hätt's die Sonne eben gern an den Tag bringen wollen und hätt' an der Wand geblinket und Kringel gemacht, sie hätt's aber nicht gekonnt. Darnach bat er sie noch besonders, sie dürfte es niemand sagen, sonst käm' er um sein Leben, das versprach sie auch; als er aber zur Arbeit sich gesetzt hatte, ging sie zu ihrer Ge-
Ueberlang, als ſie ſchon zwei Kinder hatten, ſtarben Schwiegervater und Schwiegermutter und die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines Morgens, wie der Mann auf dem Tiſch vor dem Fenſter ſaß, brachte ihm die Frau den Kaffee und als er ihn in die Unterſchale ausgegoſſen hatte und eben trinken wollte, da ſchien die Sonne darauf und blinkte oben an der Wand ſo hin und her und machte Kringel daran. Da ſah der Schneider hinauf und ſprach: „ja, die will’s gern an den Tag bringen und kann’s nicht!“ Die Frau ſprach: „ei! lieber Mann, was iſt denn das? was meinſt du damit?“ Er antwortete: „das darf ich dir nicht ſagen.“ Sie aber ſprach: „wenn du mich lieb haſt, mußt du mir’s ſagen“ und gab ihm die allerbeſten Worte, es ſollt’s kein Menſch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe. Da erzaͤhlte er, vor langen Jahren, wie er auf der Wanderſchaft ganz abgeriſſen und ohne Geld geweſen, habe er einen Juden erſchlagen und der Jude habe in der letzten Todesangſt die Worte geſprochen: „die klare Sonne wird’s an den Tag bringen.“ Nun haͤtt’s die Sonne eben gern an den Tag bringen wollen und haͤtt’ an der Wand geblinket und Kringel gemacht, ſie haͤtt’s aber nicht gekonnt. Darnach bat er ſie noch beſonders, ſie duͤrfte es niemand ſagen, ſonſt kaͤm’ er um ſein Leben, das verſprach ſie auch; als er aber zur Arbeit ſich geſetzt hatte, ging ſie zu ihrer Ge-
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Ueberlang, als ſie ſchon zwei Kinder hatten,
ſtarben Schwiegervater und Schwiegermutter und
die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines
Morgens, wie der Mann auf dem Tiſch vor dem
Fenſter ſaß, brachte ihm die Frau den Kaffee und
als er ihn in die Unterſchale ausgegoſſen hatte
und eben trinken wollte, da ſchien die Sonne
darauf und blinkte oben an der Wand ſo hin und
her und machte Kringel daran. Da ſah der
Schneider hinauf und ſprach: „ja, die will’s gern
an den Tag bringen und kann’s nicht!“ Die
Frau ſprach: „ei! lieber Mann, was iſt denn
das? was meinſt du damit?“ Er antwortete:
„das darf ich dir nicht ſagen.“ Sie aber ſprach:
„wenn du mich lieb haſt, mußt du mir’s ſagen“
und gab ihm die allerbeſten Worte, es ſollt’s kein
Menſch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe.
Da erzaͤhlte er, vor langen Jahren, wie er auf
der Wanderſchaft ganz abgeriſſen und ohne Geld
geweſen, habe er einen Juden erſchlagen und der
Jude habe in der letzten Todesangſt die Worte
geſprochen: „die klare Sonne wird’s an den Tag
bringen.“ Nun haͤtt’s die Sonne eben gern an
den Tag bringen wollen und haͤtt’ an der Wand
geblinket und Kringel gemacht, ſie haͤtt’s aber
nicht gekonnt. Darnach bat er ſie noch beſonders,
ſie duͤrfte es niemand ſagen, ſonſt kaͤm’ er um
ſein Leben, das verſprach ſie auch; als er aber
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/187>, abgerufen am 19.12.2024.
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