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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, gieng hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin 'wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!' Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm 'siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.' 'Wenn weiter nichts dazu gehört,' antwortete der Junge, 'das ist leicht gethan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben: komm nur Morgen früh wieder zu mir.' Da gieng der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er 'du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.' Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er 'nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.' Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach 'wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,' und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach

Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, gieng hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin ‘wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!’ Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm ‘siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.’ ‘Wenn weiter nichts dazu gehört,’ antwortete der Junge, ‘das ist leicht gethan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben: komm nur Morgen früh wieder zu mir.’ Da gieng der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er ‘du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.’ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er ‘nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.’ Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach ‘wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,’ und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach

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[18/0051] Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, gieng hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin ‘wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!’ Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm ‘siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.’ ‘Wenn weiter nichts dazu gehört,’ antwortete der Junge, ‘das ist leicht gethan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben: komm nur Morgen früh wieder zu mir.’ Da gieng der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er ‘du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.’ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er ‘nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.’ Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach ‘wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,’ und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/51>, abgerufen am 24.11.2024.