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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach 'nun gib mir was du versprochen hast.' Die Königin erschrack und bot dem Männchen alle Reichthümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach 'nein, etwas lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.' Da fieng die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte: 'drei Tage will ich dir Zeit lassen,' sprach er, 'wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.'

Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fieng sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein 'so heiß ich nicht.' Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen wie die Leute da genannt würden, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor, 'heißt du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?' aber es antwortete immer 'so heiß ich nicht.' Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte 'neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie

'heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut ist daß niemand weiß
daß ich Rumpelstilzchen heiß!'

Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach ‘nun gib mir was du versprochen hast.’ Die Königin erschrack und bot dem Männchen alle Reichthümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach ‘nein, etwas lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.’ Da fieng die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte: ‘drei Tage will ich dir Zeit lassen,’ sprach er, ‘wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.’

Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fieng sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein ‘so heiß ich nicht.’ Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen wie die Leute da genannt würden, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor, ‘heißt du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?’ aber es antwortete immer ‘so heiß ich nicht.’ Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte ‘neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie

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[283/0316] Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach ‘nun gib mir was du versprochen hast.’ Die Königin erschrack und bot dem Männchen alle Reichthümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach ‘nein, etwas lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.’ Da fieng die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte: ‘drei Tage will ich dir Zeit lassen,’ sprach er, ‘wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.’ Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fieng sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein ‘so heiß ich nicht.’ Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen wie die Leute da genannt würden, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor, ‘heißt du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?’ aber es antwortete immer ‘so heiß ich nicht.’ Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte ‘neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie ‘heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind; ach, wie gut ist daß niemand weiß daß ich Rumpelstilzchen heiß!’

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/316>, abgerufen am 14.08.2024.