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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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45.
Daumerlings Wanderschaft.

Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater, 'Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus.' 'Recht, mein Sohn,' sprach der Alte, nahm eine lange Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, 'da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.' Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mitessen und hüpfte in die Küche, um zu sehen was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es 'Frau Mutter, was gibts heute zu essen?' 'Sieh du selbst zu' sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, gieng auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. 'Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt,' sagte der Daumerling, 'so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Hausthüre Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, Herr Kartoffelkönig.' 'Was willst du wohl, Grashüpfer?' sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein kroch behende

45.
Daumerlings Wanderschaft.

Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater, ‘Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus.’ ‘Recht, mein Sohn,’ sprach der Alte, nahm eine lange Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, ‘da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.’ Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mitessen und hüpfte in die Küche, um zu sehen was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es ‘Frau Mutter, was gibts heute zu essen?’ ‘Sieh du selbst zu’ sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, gieng auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. ‘Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt,’ sagte der Daumerling, ‘so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Hausthüre Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, Herr Kartoffelkönig.’ ‘Was willst du wohl, Grashüpfer?’ sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein kroch behende

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[223/0256] 45. Daumerlings Wanderschaft. Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater, ‘Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus.’ ‘Recht, mein Sohn,’ sprach der Alte, nahm eine lange Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, ‘da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.’ Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mitessen und hüpfte in die Küche, um zu sehen was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es ‘Frau Mutter, was gibts heute zu essen?’ ‘Sieh du selbst zu’ sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, gieng auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. ‘Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt,’ sagte der Daumerling, ‘so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Hausthüre Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, Herr Kartoffelkönig.’ ‘Was willst du wohl, Grashüpfer?’ sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein kroch behende

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/256>, abgerufen am 25.11.2024.