Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu wie es gehen soll.' 'Nun,' antwortete der Vater, 'einmal wollen wirs versuchen.' Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes, und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, 'jüh und joh! hott und har!' Da gieng es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine 'har, har!' rief, daß zwei fremde Männer daher kamen. 'Mein,' sprach der eine, 'was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu, und ist doch nicht zu sehen.' 'Das geht nicht mit rechten Dingen zu,' sagte der andere, 'wir wollen dem Karren folgen und sehen wo er anhält.' Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu 'siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter.' Der Vater faßte das Pferd mit der linken, und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach 'hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt vor Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen.' Sie giengen zu dem Bauer und sprachen 'verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben.' 'Nein,' antwortete der Vater, 'es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil.' Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter, und wisperte ihm ins Ohr 'Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurück kommen.' Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu wie es gehen soll.’ ‘Nun,’ antwortete der Vater, ‘einmal wollen wirs versuchen.’ Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes, und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, ‘jüh und joh! hott und har!’ Da gieng es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine ‘har, har!’ rief, daß zwei fremde Männer daher kamen. ‘Mein,’ sprach der eine, ‘was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu, und ist doch nicht zu sehen.’ ‘Das geht nicht mit rechten Dingen zu,’ sagte der andere, ‘wir wollen dem Karren folgen und sehen wo er anhält.’ Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu ‘siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter.’ Der Vater faßte das Pferd mit der linken, und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach ‘hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt vor Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen.’ Sie giengen zu dem Bauer und sprachen ‘verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben.’ ‘Nein,’ antwortete der Vater, ‘es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil.’ Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter, und wisperte ihm ins Ohr ‘Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurück kommen.’ Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="195"/> dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu wie es gehen soll.’ ‘Nun,’ antwortete der Vater, ‘einmal wollen wirs versuchen.’ Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes, und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, ‘jüh und joh! hott und har!’ Da gieng es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine ‘har, har!’ rief, daß zwei fremde Männer daher kamen. ‘Mein,’ sprach der eine, ‘was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu, und ist doch nicht zu sehen.’ ‘Das geht nicht mit rechten Dingen zu,’ sagte der andere, ‘wir wollen dem Karren folgen und sehen wo er anhält.’ Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu ‘siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter.’ Der Vater faßte das Pferd mit der linken, und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach ‘hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt vor Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen.’ Sie giengen zu dem Bauer und sprachen ‘verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben.’ ‘Nein,’ antwortete der Vater, ‘es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil.’ Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter, und wisperte ihm ins Ohr ‘Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurück kommen.’ Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern </p> </div> </body> </text> </TEI> [195/0228]
dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu wie es gehen soll.’ ‘Nun,’ antwortete der Vater, ‘einmal wollen wirs versuchen.’ Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte Daumesdick ins Ohr des Pferdes, und dann rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, ‘jüh und joh! hott und har!’ Da gieng es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine ‘har, har!’ rief, daß zwei fremde Männer daher kamen. ‘Mein,’ sprach der eine, ‘was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu, und ist doch nicht zu sehen.’ ‘Das geht nicht mit rechten Dingen zu,’ sagte der andere, ‘wir wollen dem Karren folgen und sehen wo er anhält.’ Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu ‘siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter.’ Der Vater faßte das Pferd mit der linken, und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach ‘hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt vor Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen.’ Sie giengen zu dem Bauer und sprachen ‘verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben.’ ‘Nein,’ antwortete der Vater, ‘es ist mein Herzblatt, und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil.’ Daumesdick aber, als er von dem Handel gehört, war an den Rockfalten seines Vaters hinaufgekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter, und wisperte ihm ins Ohr ‘Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zurück kommen.’ Da gab ihn der Vater für ein schönes Stück Geld den beiden Männern
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