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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Nach ein paar Jahren trug es sich zu, daß der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Thurm vorüber kam. Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, daß er still hielt und horchte. Das war Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit damit vertrieb, ihre süße Stimme erschallen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinauf steigen und suchte nach einer Thüre des Thurms, aber es war keine zu finden. Er ritt heim, doch der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, daß er jeden Tag hinaus in den Wald gieng und zuhörte. Als er einmal so hinter einem Baum stand, sah er daß eine Zauberin heran kam und hörte wie sie hinauf rief

'Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter.'

Da ließ Rapunzel die Haarflechten herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. 'Jst das die Leiter, auf welcher man hinauf kommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen.' Und den folgenden Tag, als es anfieng dunkel zu werden, gieng er zu dem Thurme und rief

'Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter.'

Alsbald fielen die Haare herab und der Königssohn stieg hinauf.

Anfangs erschrack Rapunzel gewaltig als ein Mann zu ihr herein kam, wie ihre Augen noch nie einen erblickt hatten, doch der Königssohn fing an ganz freundlich mit ihr zu reden und erzählte ihr daß von ihrem Gesang sein Herz so sehr sei bewegt worden, daß es ihm keine Ruhe gelassen, und er sie selbst habe sehen müssen. Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte ob sie ihn zum Manne nehmen wollte, und sie sah daß er jung und schön war, so dachte sie 'der wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel,' und sagte ja und legte ihre Hand in seine Hand. Sie sprach 'ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß

Nach ein paar Jahren trug es sich zu, daß der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Thurm vorüber kam. Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, daß er still hielt und horchte. Das war Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit damit vertrieb, ihre süße Stimme erschallen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinauf steigen und suchte nach einer Thüre des Thurms, aber es war keine zu finden. Er ritt heim, doch der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, daß er jeden Tag hinaus in den Wald gieng und zuhörte. Als er einmal so hinter einem Baum stand, sah er daß eine Zauberin heran kam und hörte wie sie hinauf rief

‘Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter.’

Da ließ Rapunzel die Haarflechten herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. ‘Jst das die Leiter, auf welcher man hinauf kommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen.’ Und den folgenden Tag, als es anfieng dunkel zu werden, gieng er zu dem Thurme und rief

‘Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter.’

Alsbald fielen die Haare herab und der Königssohn stieg hinauf.

Anfangs erschrack Rapunzel gewaltig als ein Mann zu ihr herein kam, wie ihre Augen noch nie einen erblickt hatten, doch der Königssohn fing an ganz freundlich mit ihr zu reden und erzählte ihr daß von ihrem Gesang sein Herz so sehr sei bewegt worden, daß es ihm keine Ruhe gelassen, und er sie selbst habe sehen müssen. Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte ob sie ihn zum Manne nehmen wollte, und sie sah daß er jung und schön war, so dachte sie ‘der wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel,’ und sagte ja und legte ihre Hand in seine Hand. Sie sprach ‘ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß

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[67/0100] Nach ein paar Jahren trug es sich zu, daß der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Thurm vorüber kam. Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, daß er still hielt und horchte. Das war Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit damit vertrieb, ihre süße Stimme erschallen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinauf steigen und suchte nach einer Thüre des Thurms, aber es war keine zu finden. Er ritt heim, doch der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, daß er jeden Tag hinaus in den Wald gieng und zuhörte. Als er einmal so hinter einem Baum stand, sah er daß eine Zauberin heran kam und hörte wie sie hinauf rief ‘Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter.’ Da ließ Rapunzel die Haarflechten herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. ‘Jst das die Leiter, auf welcher man hinauf kommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen.’ Und den folgenden Tag, als es anfieng dunkel zu werden, gieng er zu dem Thurme und rief ‘Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter.’ Alsbald fielen die Haare herab und der Königssohn stieg hinauf. Anfangs erschrack Rapunzel gewaltig als ein Mann zu ihr herein kam, wie ihre Augen noch nie einen erblickt hatten, doch der Königssohn fing an ganz freundlich mit ihr zu reden und erzählte ihr daß von ihrem Gesang sein Herz so sehr sei bewegt worden, daß es ihm keine Ruhe gelassen, und er sie selbst habe sehen müssen. Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte ob sie ihn zum Manne nehmen wollte, und sie sah daß er jung und schön war, so dachte sie ‘der wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel,’ und sagte ja und legte ihre Hand in seine Hand. Sie sprach ‘ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/100>, abgerufen am 24.11.2024.