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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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jetzt zeigt er sich in sichtbar unabhängiger Gestaltung auch in Norwegen (Asbjörnsen Seite 200) und in Schweden (Cavallius XII), und es ist wohl nur Zufall daß er sich noch nicht in Deutschland gefunden hat. Jn Frankreich zumal in dem südlichen mögen die Märchen noch in reicher Fülle vorhanden sein: ausdrücklich sagt das ein C. S. unterzeichneter, an den Redacteur des Globe (1830. Nr 146) gerichteter Brief, der zugleich ein merkwürdiges Beispiel anführt, das Märchen von dem Machandelbaum (Nr 47) mit ziemlich geringen Abweichungen, selbst die Reime mit entsprechendem Jnhalt fehlen darin nicht.

Bevor ich von den Märchen des deutschen Stammes rede, muß ich den Blick nochmals nach dem Morgenlande richten, dahin wo die über die Erde verbreiteten Völker ihre ersten Sitze hatten. Altindische Märchen in beträchtlicher Anzahl enthält Somadevas Sammlung. Er lebte im elften Jahrhundert zu Kaschemir und seine Absicht war, wie er am Eingang des im epischen Versmaß abgefaßten Gedichts sagt, das bunte Märchennetz dem Gedächtnis zu erhalten. Er benutzte frühere Werke ähnlichen Jnhalts, wovon die wichtigern noch vorhanden sind, selbst Ramayana, Mahabharata und die Legenden der Puranen haben ihm Beiträge geliefert; das Alter der Märchen geht also weit über Somadevas Zeit hinauf. Da er ausdrücklich bemerkt daß er nichts ausgelassen und nur den Jnhalt zusammen gedrängt habe, so wird dieser vollständiger und zusammenhängender sein als bei späteren Auffassungen möglich gewesen wäre. Sein Ausdruck ist gebildet und verständig, aber eintönig und ohne höhere Belebung: auch das Naive fehlt, die Luft, in der diese Dichtungen allein gedeihen; man fühlt daß die Sage nicht unmittelbar aus dem Munde des Volks genommen ist und schon mehr als eine Überarbeitung erfahren hat. Sonst würde auch die Verwandtschaft mit deutschen Sagen und Märchen deutlicher hervor

jetzt zeigt er sich in sichtbar unabhängiger Gestaltung auch in Norwegen (Asbjörnsen Seite 200) und in Schweden (Cavallius XII), und es ist wohl nur Zufall daß er sich noch nicht in Deutschland gefunden hat. Jn Frankreich zumal in dem südlichen mögen die Märchen noch in reicher Fülle vorhanden sein: ausdrücklich sagt das ein C. S. unterzeichneter, an den Redacteur des Globe (1830. Nr 146) gerichteter Brief, der zugleich ein merkwürdiges Beispiel anführt, das Märchen von dem Machandelbaum (Nr 47) mit ziemlich geringen Abweichungen, selbst die Reime mit entsprechendem Jnhalt fehlen darin nicht.

Bevor ich von den Märchen des deutschen Stammes rede, muß ich den Blick nochmals nach dem Morgenlande richten, dahin wo die über die Erde verbreiteten Völker ihre ersten Sitze hatten. Altindische Märchen in beträchtlicher Anzahl enthält Somadevas Sammlung. Er lebte im elften Jahrhundert zu Kaschemir und seine Absicht war, wie er am Eingang des im epischen Versmaß abgefaßten Gedichts sagt, das bunte Märchennetz dem Gedächtnis zu erhalten. Er benutzte frühere Werke ähnlichen Jnhalts, wovon die wichtigern noch vorhanden sind, selbst Ramayana, Mahabharata und die Legenden der Puranen haben ihm Beiträge geliefert; das Alter der Märchen geht also weit über Somadevas Zeit hinauf. Da er ausdrücklich bemerkt daß er nichts ausgelassen und nur den Jnhalt zusammen gedrängt habe, so wird dieser vollständiger und zusammenhängender sein als bei späteren Auffassungen möglich gewesen wäre. Sein Ausdruck ist gebildet und verständig, aber eintönig und ohne höhere Belebung: auch das Naive fehlt, die Luft, in der diese Dichtungen allein gedeihen; man fühlt daß die Sage nicht unmittelbar aus dem Munde des Volks genommen ist und schon mehr als eine Überarbeitung erfahren hat. Sonst würde auch die Verwandtschaft mit deutschen Sagen und Märchen deutlicher hervor

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[LV/0061] jetzt zeigt er sich in sichtbar unabhängiger Gestaltung auch in Norwegen (Asbjörnsen Seite 200) und in Schweden (Cavallius XII), und es ist wohl nur Zufall daß er sich noch nicht in Deutschland gefunden hat. Jn Frankreich zumal in dem südlichen mögen die Märchen noch in reicher Fülle vorhanden sein: ausdrücklich sagt das ein C. S. unterzeichneter, an den Redacteur des Globe (1830. Nr 146) gerichteter Brief, der zugleich ein merkwürdiges Beispiel anführt, das Märchen von dem Machandelbaum (Nr 47) mit ziemlich geringen Abweichungen, selbst die Reime mit entsprechendem Jnhalt fehlen darin nicht. Bevor ich von den Märchen des deutschen Stammes rede, muß ich den Blick nochmals nach dem Morgenlande richten, dahin wo die über die Erde verbreiteten Völker ihre ersten Sitze hatten. Altindische Märchen in beträchtlicher Anzahl enthält Somadevas Sammlung. Er lebte im elften Jahrhundert zu Kaschemir und seine Absicht war, wie er am Eingang des im epischen Versmaß abgefaßten Gedichts sagt, das bunte Märchennetz dem Gedächtnis zu erhalten. Er benutzte frühere Werke ähnlichen Jnhalts, wovon die wichtigern noch vorhanden sind, selbst Ramayana, Mahabharata und die Legenden der Puranen haben ihm Beiträge geliefert; das Alter der Märchen geht also weit über Somadevas Zeit hinauf. Da er ausdrücklich bemerkt daß er nichts ausgelassen und nur den Jnhalt zusammen gedrängt habe, so wird dieser vollständiger und zusammenhängender sein als bei späteren Auffassungen möglich gewesen wäre. Sein Ausdruck ist gebildet und verständig, aber eintönig und ohne höhere Belebung: auch das Naive fehlt, die Luft, in der diese Dichtungen allein gedeihen; man fühlt daß die Sage nicht unmittelbar aus dem Munde des Volks genommen ist und schon mehr als eine Überarbeitung erfahren hat. Sonst würde auch die Verwandtschaft mit deutschen Sagen und Märchen deutlicher hervor

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. LV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/61>, abgerufen am 24.11.2024.