Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.Redensarten, Bilder und Gleichnisse des Volks eingewebt: man muß bedauern daß die Darstellung zu dem ausgebildeten Geschmack der jetzigen Zeit sich etwas mehr zuneigt als zuträglich ist, zumal wenn sie jene Jronie anwendet, die uns zu verstehen gibt daß das märchenhafte nur das Erzeugnis einer durch den Rausch erregten Phantasie sei, womit jede tiefere Bedeutung schwindet. Eine dankenswerthe Zusammenstellung enthalten die irischen Sagen und Märchen von K. v. K., wo auch benutzt ist was in den Popular tales and legends von Lover (1832--34) und in Thoms Märchen und Sagen aller Völker (1834) vorkommt. Nichts besser kann die immer aufgeregte, mit einer gewissen Wildheit behaftete, aber auch mit den geistigsten Kräften ausgestattete Natur der Jrländer schildern als diese Märchen: nur eine so behende Phantasie war fähig dem Grundgedanken der Sage einen Ausdruck zu verleihen, der uns durch immer neue und unerwartete Wendungen überrascht. Fast in allen wird die Verwickelung der Ereignisse oder ihre Lösung durch den Zutritt eines der geisterhaften Wesen bewirkt, die in zahlloser Menge Wasser und Land, Wälder und Berge, Felsen und Einöden bewohnen und die reizendste wie die häßlichste Gestalt annehmen. Herzlos, wie sie sind, suchen sie die Menschen in ihren Kreiß zu bannen, als trügen sie Verlangen das warme Leben derselben in sich aufzunehmen. Man kennt ihre Tücke und scheut sie, aber man sucht sich mit ihnen in gutem Vernehmen zu erhalten, etwa wie die Schlesier ihren Rübezahl schonen, die unwillig werden, wenn ein Fremder seinen Namen in den Wald hinein ruft, was sie selbst sich niemals erlauben. Treffend wird das Verhältnis in einem Märchen bezeichnet, wo das linke Auge des Menschen mit einer Salbe bestrichen fortan ihre wahre häßliche Gestalt, das rechte den Schein wunderbarer Schönheit sieht. Nur das Märchen von Darby Duly (K. v. K. 2, 23) macht Ausnahme und stellt einen andern Charakter Redensarten, Bilder und Gleichnisse des Volks eingewebt: man muß bedauern daß die Darstellung zu dem ausgebildeten Geschmack der jetzigen Zeit sich etwas mehr zuneigt als zuträglich ist, zumal wenn sie jene Jronie anwendet, die uns zu verstehen gibt daß das märchenhafte nur das Erzeugnis einer durch den Rausch erregten Phantasie sei, womit jede tiefere Bedeutung schwindet. Eine dankenswerthe Zusammenstellung enthalten die irischen Sagen und Märchen von K. v. K., wo auch benutzt ist was in den Popular tales and legends von Lover (1832—34) und in Thoms Märchen und Sagen aller Völker (1834) vorkommt. Nichts besser kann die immer aufgeregte, mit einer gewissen Wildheit behaftete, aber auch mit den geistigsten Kräften ausgestattete Natur der Jrländer schildern als diese Märchen: nur eine so behende Phantasie war fähig dem Grundgedanken der Sage einen Ausdruck zu verleihen, der uns durch immer neue und unerwartete Wendungen überrascht. Fast in allen wird die Verwickelung der Ereignisse oder ihre Lösung durch den Zutritt eines der geisterhaften Wesen bewirkt, die in zahlloser Menge Wasser und Land, Wälder und Berge, Felsen und Einöden bewohnen und die reizendste wie die häßlichste Gestalt annehmen. Herzlos, wie sie sind, suchen sie die Menschen in ihren Kreiß zu bannen, als trügen sie Verlangen das warme Leben derselben in sich aufzunehmen. Man kennt ihre Tücke und scheut sie, aber man sucht sich mit ihnen in gutem Vernehmen zu erhalten, etwa wie die Schlesier ihren Rübezahl schonen, die unwillig werden, wenn ein Fremder seinen Namen in den Wald hinein ruft, was sie selbst sich niemals erlauben. Treffend wird das Verhältnis in einem Märchen bezeichnet, wo das linke Auge des Menschen mit einer Salbe bestrichen fortan ihre wahre häßliche Gestalt, das rechte den Schein wunderbarer Schönheit sieht. Nur das Märchen von Darby Duly (K. v. K. 2, 23) macht Ausnahme und stellt einen andern Charakter <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0054" n="XLVIII"/> Redensarten, Bilder und Gleichnisse des Volks eingewebt: man muß bedauern daß die Darstellung zu dem ausgebildeten Geschmack der jetzigen Zeit sich etwas mehr zuneigt als zuträglich ist, zumal wenn sie jene Jronie anwendet, die uns zu verstehen gibt daß das märchenhafte nur das Erzeugnis einer durch den Rausch erregten Phantasie sei, womit jede tiefere Bedeutung schwindet. Eine dankenswerthe Zusammenstellung enthalten die irischen Sagen und Märchen von K. v. K., wo auch benutzt ist was in den <hi rendition="#aq">Popular tales and legends</hi> von Lover (1832—34) und in Thoms Märchen und Sagen aller Völker (1834) vorkommt. Nichts besser kann die immer aufgeregte, mit einer gewissen Wildheit behaftete, aber auch mit den geistigsten Kräften ausgestattete Natur der Jrländer schildern als diese Märchen: nur eine so behende Phantasie war fähig dem Grundgedanken der Sage einen Ausdruck zu verleihen, der uns durch immer neue und unerwartete Wendungen überrascht. Fast in allen wird die Verwickelung der Ereignisse oder ihre Lösung durch den Zutritt eines der geisterhaften Wesen bewirkt, die in zahlloser Menge Wasser und Land, Wälder und Berge, Felsen und Einöden bewohnen und die reizendste wie die häßlichste Gestalt annehmen. Herzlos, wie sie sind, suchen sie die Menschen in ihren Kreiß zu bannen, als trügen sie Verlangen das warme Leben derselben in sich aufzunehmen. Man kennt ihre Tücke und scheut sie, aber man sucht sich mit ihnen in gutem Vernehmen zu erhalten, etwa wie die Schlesier ihren Rübezahl schonen, die unwillig werden, wenn ein Fremder seinen Namen in den Wald hinein ruft, was sie selbst sich niemals erlauben. Treffend wird das Verhältnis in einem Märchen bezeichnet, wo das linke Auge des Menschen mit einer Salbe bestrichen fortan ihre wahre häßliche Gestalt, das rechte den Schein wunderbarer Schönheit sieht. Nur das Märchen von Darby Duly (K. v. K. 2, 23) macht Ausnahme und stellt einen andern Charakter </p> </div> </front> </text> </TEI> [XLVIII/0054]
Redensarten, Bilder und Gleichnisse des Volks eingewebt: man muß bedauern daß die Darstellung zu dem ausgebildeten Geschmack der jetzigen Zeit sich etwas mehr zuneigt als zuträglich ist, zumal wenn sie jene Jronie anwendet, die uns zu verstehen gibt daß das märchenhafte nur das Erzeugnis einer durch den Rausch erregten Phantasie sei, womit jede tiefere Bedeutung schwindet. Eine dankenswerthe Zusammenstellung enthalten die irischen Sagen und Märchen von K. v. K., wo auch benutzt ist was in den Popular tales and legends von Lover (1832—34) und in Thoms Märchen und Sagen aller Völker (1834) vorkommt. Nichts besser kann die immer aufgeregte, mit einer gewissen Wildheit behaftete, aber auch mit den geistigsten Kräften ausgestattete Natur der Jrländer schildern als diese Märchen: nur eine so behende Phantasie war fähig dem Grundgedanken der Sage einen Ausdruck zu verleihen, der uns durch immer neue und unerwartete Wendungen überrascht. Fast in allen wird die Verwickelung der Ereignisse oder ihre Lösung durch den Zutritt eines der geisterhaften Wesen bewirkt, die in zahlloser Menge Wasser und Land, Wälder und Berge, Felsen und Einöden bewohnen und die reizendste wie die häßlichste Gestalt annehmen. Herzlos, wie sie sind, suchen sie die Menschen in ihren Kreiß zu bannen, als trügen sie Verlangen das warme Leben derselben in sich aufzunehmen. Man kennt ihre Tücke und scheut sie, aber man sucht sich mit ihnen in gutem Vernehmen zu erhalten, etwa wie die Schlesier ihren Rübezahl schonen, die unwillig werden, wenn ein Fremder seinen Namen in den Wald hinein ruft, was sie selbst sich niemals erlauben. Treffend wird das Verhältnis in einem Märchen bezeichnet, wo das linke Auge des Menschen mit einer Salbe bestrichen fortan ihre wahre häßliche Gestalt, das rechte den Schein wunderbarer Schönheit sieht. Nur das Märchen von Darby Duly (K. v. K. 2, 23) macht Ausnahme und stellt einen andern Charakter
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