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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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sie lange Rast, im Sommer nur kurze Ruhezeit, und Ämmarik übergibt die erlöschende unmittelbar den Händen Koits, der sie alsbald zu neuem Leben anfacht. Zu einer solchen Zeit sehen beide einmal sich zu tief in die braunen Augen, ihre Hände fassen einander, ihre Lippen berühren sich. Altvater sieht es und spricht 'seid glücklich als Mann und Weib.' Sie antworten 'Alter, störe unsere Freude nicht, laß uns ewig Braut und Bräutigam bleiben, so ist die Liebe immer jung und neu.' Nur einmal im Jahr, vier Wochen lang, kommen beide zur Mitternachtszeit zusammen. Dann legt Ämmarik die erlöschende Sonne in die Hand Koits, ein Händedruck und ein Kuß beseligt sie. Die Wange der Ämmarik erröthet und spiegelt sich rosenroth am Himmel, bis Koit die Leuchte wieder anzündet. Weilt Ämmarik zu lange, so ruft ihr die Nachtigall scherzend zu 'säumiges Mädchen, die Nacht wird zu lang.' Dem geheimnisvollsten nährt sich die Dichtung der Völker und weiß es in ihrer Unschuld zu deuten. Ein Märchen beschreibt die Entstehung der verschiedenen Sprachen: Altvater kocht Wasser in einem Kessel, und nach den verschiedenen Lauten, die es beim Brodlen von sich gibt, wird den heran nahenden Völkern die Sprache zugetheilt: nur die Ehsten, die zuerst kommen, als das Wasser noch nicht kocht, erhalten die Sprache Altvaters. Wird gesagt die Scheidung der Sprachen sei entstanden, als der stille Wasserspiegel uranfänglichen Lebens von dem Feuer irdischer und sündlicher Triebe gestört und durchbrochen ward? Auch ehstnische Volkslieder bewahren Überlieferungen dieser Art und manche mit Kalevala übereinstimmende Züge.

Hier muß ich der Sage von Gesser Chan Erwähnung thun. Sie ist zwar in der mongolischen Volkssprache aufgefaßt, ursprünglich aber, aller Wahrscheinlichkeit nach, in Tibet entstanden und zeigt Einwirkungen indischer Mythen. Dort herrschte der Held,

sie lange Rast, im Sommer nur kurze Ruhezeit, und Ämmarik übergibt die erlöschende unmittelbar den Händen Koits, der sie alsbald zu neuem Leben anfacht. Zu einer solchen Zeit sehen beide einmal sich zu tief in die braunen Augen, ihre Hände fassen einander, ihre Lippen berühren sich. Altvater sieht es und spricht ‘seid glücklich als Mann und Weib.’ Sie antworten ‘Alter, störe unsere Freude nicht, laß uns ewig Braut und Bräutigam bleiben, so ist die Liebe immer jung und neu.’ Nur einmal im Jahr, vier Wochen lang, kommen beide zur Mitternachtszeit zusammen. Dann legt Ämmarik die erlöschende Sonne in die Hand Koits, ein Händedruck und ein Kuß beseligt sie. Die Wange der Ämmarik erröthet und spiegelt sich rosenroth am Himmel, bis Koit die Leuchte wieder anzündet. Weilt Ämmarik zu lange, so ruft ihr die Nachtigall scherzend zu ‘säumiges Mädchen, die Nacht wird zu lang.’ Dem geheimnisvollsten nährt sich die Dichtung der Völker und weiß es in ihrer Unschuld zu deuten. Ein Märchen beschreibt die Entstehung der verschiedenen Sprachen: Altvater kocht Wasser in einem Kessel, und nach den verschiedenen Lauten, die es beim Brodlen von sich gibt, wird den heran nahenden Völkern die Sprache zugetheilt: nur die Ehsten, die zuerst kommen, als das Wasser noch nicht kocht, erhalten die Sprache Altvaters. Wird gesagt die Scheidung der Sprachen sei entstanden, als der stille Wasserspiegel uranfänglichen Lebens von dem Feuer irdischer und sündlicher Triebe gestört und durchbrochen ward? Auch ehstnische Volkslieder bewahren Überlieferungen dieser Art und manche mit Kalevala übereinstimmende Züge.

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[XXXVII/0043] sie lange Rast, im Sommer nur kurze Ruhezeit, und Ämmarik übergibt die erlöschende unmittelbar den Händen Koits, der sie alsbald zu neuem Leben anfacht. Zu einer solchen Zeit sehen beide einmal sich zu tief in die braunen Augen, ihre Hände fassen einander, ihre Lippen berühren sich. Altvater sieht es und spricht ‘seid glücklich als Mann und Weib.’ Sie antworten ‘Alter, störe unsere Freude nicht, laß uns ewig Braut und Bräutigam bleiben, so ist die Liebe immer jung und neu.’ Nur einmal im Jahr, vier Wochen lang, kommen beide zur Mitternachtszeit zusammen. Dann legt Ämmarik die erlöschende Sonne in die Hand Koits, ein Händedruck und ein Kuß beseligt sie. Die Wange der Ämmarik erröthet und spiegelt sich rosenroth am Himmel, bis Koit die Leuchte wieder anzündet. Weilt Ämmarik zu lange, so ruft ihr die Nachtigall scherzend zu ‘säumiges Mädchen, die Nacht wird zu lang.’ Dem geheimnisvollsten nährt sich die Dichtung der Völker und weiß es in ihrer Unschuld zu deuten. Ein Märchen beschreibt die Entstehung der verschiedenen Sprachen: Altvater kocht Wasser in einem Kessel, und nach den verschiedenen Lauten, die es beim Brodlen von sich gibt, wird den heran nahenden Völkern die Sprache zugetheilt: nur die Ehsten, die zuerst kommen, als das Wasser noch nicht kocht, erhalten die Sprache Altvaters. Wird gesagt die Scheidung der Sprachen sei entstanden, als der stille Wasserspiegel uranfänglichen Lebens von dem Feuer irdischer und sündlicher Triebe gestört und durchbrochen ward? Auch ehstnische Volkslieder bewahren Überlieferungen dieser Art und manche mit Kalevala übereinstimmende Züge. Hier muß ich der Sage von Gesser Chan Erwähnung thun. Sie ist zwar in der mongolischen Volkssprache aufgefaßt, ursprünglich aber, aller Wahrscheinlichkeit nach, in Tibet entstanden und zeigt Einwirkungen indischer Mythen. Dort herrschte der Held,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. XXXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/43>, abgerufen am 24.11.2024.