Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.58. Der Hund und der Sperling. Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie ers nicht länger bei ihm aushalten konnte, gieng er ganz traurig fort. Auf der Straße begegnete ihm ein Sperling, der sprach 'Bruder Hund, warum bist du so traurig?' Antwortete der Hund 'ich bin hungrig, und habe nichts zu fressen.' Da sprach der Sperling 'lieber Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen.' Also giengen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hund 'da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunter picken,' setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück, das am Rande lag, bis es herunter rutschte. Da packte es der Hund, lief in eine Ecke und fraß es auf. Sprach der Sperling 'nun komm mit zu einem andern Laden, da will ich dir noch ein Stück herunter holen, damit du satt wirst.' Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte der Sperling 'Bruder Hund, bist du nun satt?' 'Ja, Fleisch bin ich satt,' antwortete er, 'aber ich habe noch kein Brot gekriegt.' Sprach der Sperling 'das sollst du auch haben, komm nur mit.' Da führte 58. Der Hund und der Sperling. Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie ers nicht länger bei ihm aushalten konnte, gieng er ganz traurig fort. Auf der Straße begegnete ihm ein Sperling, der sprach ‘Bruder Hund, warum bist du so traurig?’ Antwortete der Hund ‘ich bin hungrig, und habe nichts zu fressen.’ Da sprach der Sperling ‘lieber Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen.’ Also giengen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hund ‘da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunter picken,’ setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück, das am Rande lag, bis es herunter rutschte. Da packte es der Hund, lief in eine Ecke und fraß es auf. Sprach der Sperling ‘nun komm mit zu einem andern Laden, da will ich dir noch ein Stück herunter holen, damit du satt wirst.’ Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte der Sperling ‘Bruder Hund, bist du nun satt?’ ‘Ja, Fleisch bin ich satt,’ antwortete er, ‘aber ich habe noch kein Brot gekriegt.’ Sprach der Sperling ‘das sollst du auch haben, komm nur mit.’ Da führte <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0428" n="346"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">58.<lb/> Der Hund und der Sperling.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie ers nicht länger bei ihm aushalten konnte, gieng er ganz traurig fort. Auf der Straße begegnete ihm ein Sperling, der sprach ‘Bruder Hund, warum bist du so traurig?’ Antwortete der Hund ‘ich bin hungrig, und habe nichts zu fressen.’ Da sprach der Sperling ‘lieber Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen.’ Also giengen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hund ‘da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunter picken,’ setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück, das am Rande lag, bis es herunter rutschte. Da packte es der Hund, lief in eine Ecke und fraß es auf. Sprach der Sperling ‘nun komm mit zu einem andern Laden, da will ich dir noch ein Stück herunter holen, damit du satt wirst.’ Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte der Sperling ‘Bruder Hund, bist du nun satt?’ ‘Ja, Fleisch bin ich satt,’ antwortete er, ‘aber ich habe noch kein Brot gekriegt.’ Sprach der Sperling ‘das sollst du auch haben, komm nur mit.’ Da führte </p> </div> </body> </text> </TEI> [346/0428]
58.
Der Hund und der Sperling.
Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie ers nicht länger bei ihm aushalten konnte, gieng er ganz traurig fort. Auf der Straße begegnete ihm ein Sperling, der sprach ‘Bruder Hund, warum bist du so traurig?’ Antwortete der Hund ‘ich bin hungrig, und habe nichts zu fressen.’ Da sprach der Sperling ‘lieber Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen.’ Also giengen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hund ‘da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunter picken,’ setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück, das am Rande lag, bis es herunter rutschte. Da packte es der Hund, lief in eine Ecke und fraß es auf. Sprach der Sperling ‘nun komm mit zu einem andern Laden, da will ich dir noch ein Stück herunter holen, damit du satt wirst.’ Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte der Sperling ‘Bruder Hund, bist du nun satt?’ ‘Ja, Fleisch bin ich satt,’ antwortete er, ‘aber ich habe noch kein Brot gekriegt.’ Sprach der Sperling ‘das sollst du auch haben, komm nur mit.’ Da führte
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