Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

gienge es verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen. Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen, und nachdem sie das ganze Haus von unten bis oben durchsucht hatte, gieng sie auch zu der verbotenen Thüre und öffnete sie. Wie erschrack sie aber, als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes blutiges Becken, und darin lagen todte zerhauene Menschen. Sie erschrack so sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein; sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück, und das erste war, daß er Schlüssel und Ei zurückforderte. Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er betrachtete beides genau und sah wohl daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er 'bist du gegen meinen Willen in die Kammer gegangen, so sollst du jetzt gegen deinen Willen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende.' Er zog sie an den Haaren hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß, und warf sie zu den übrigen ins Becken.

'Jetzt will ich mir die zweite holen' sprach der Hexenmeister, gieng wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot, er fieng sie wie die erste durch bloßes Anrühren, und trug sie hinaus. Es ergieng ihr wie ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten, öffnete die Blutkammer und schaute hinein, und mußte

gienge es verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen. Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen, und nachdem sie das ganze Haus von unten bis oben durchsucht hatte, gieng sie auch zu der verbotenen Thüre und öffnete sie. Wie erschrack sie aber, als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes blutiges Becken, und darin lagen todte zerhauene Menschen. Sie erschrack so sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein; sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück, und das erste war, daß er Schlüssel und Ei zurückforderte. Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er betrachtete beides genau und sah wohl daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er ‘bist du gegen meinen Willen in die Kammer gegangen, so sollst du jetzt gegen deinen Willen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende.’ Er zog sie an den Haaren hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß, und warf sie zu den übrigen ins Becken.

‘Jetzt will ich mir die zweite holen’ sprach der Hexenmeister, gieng wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot, er fieng sie wie die erste durch bloßes Anrühren, und trug sie hinaus. Es ergieng ihr wie ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten, öffnete die Blutkammer und schaute hinein, und mußte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0346" n="264"/>
gienge es verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen. Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen, und nachdem sie das ganze Haus von unten bis oben durchsucht hatte, gieng sie auch zu der verbotenen Thüre und öffnete sie. Wie erschrack sie aber, als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes blutiges Becken, und darin lagen todte zerhauene Menschen. Sie erschrack so sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein; sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück, und das erste war, daß er Schlüssel und Ei zurückforderte. Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er betrachtete beides genau und sah wohl daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er &#x2018;bist du gegen meinen Willen in die Kammer gegangen, so sollst du jetzt gegen deinen Willen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende.&#x2019; Er zog sie an den Haaren hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß, und warf sie zu den übrigen ins Becken.</p><lb/>
        <p>&#x2018;Jetzt will ich mir die zweite holen&#x2019; sprach der Hexenmeister, gieng wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot, er fieng sie wie die erste durch bloßes Anrühren, und trug sie hinaus. Es ergieng ihr wie ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten, öffnete die Blutkammer und schaute hinein, und mußte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0346] gienge es verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen. Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen, und nachdem sie das ganze Haus von unten bis oben durchsucht hatte, gieng sie auch zu der verbotenen Thüre und öffnete sie. Wie erschrack sie aber, als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes blutiges Becken, und darin lagen todte zerhauene Menschen. Sie erschrack so sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein; sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück, und das erste war, daß er Schlüssel und Ei zurückforderte. Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er betrachtete beides genau und sah wohl daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er ‘bist du gegen meinen Willen in die Kammer gegangen, so sollst du jetzt gegen deinen Willen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende.’ Er zog sie an den Haaren hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß, und warf sie zu den übrigen ins Becken. ‘Jetzt will ich mir die zweite holen’ sprach der Hexenmeister, gieng wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot, er fieng sie wie die erste durch bloßes Anrühren, und trug sie hinaus. Es ergieng ihr wie ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten, öffnete die Blutkammer und schaute hinein, und mußte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/346
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/346>, abgerufen am 22.11.2024.