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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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Das Schwesterchen aber erschrack gewaltig, als es sah daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach 'geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst.' Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen hörte, sprach es 'ich kanns nicht aushalten, ich muß dabei sein; so bald soll mich keiner kriegen.' Das Schwesterchen weinte und sprach 'nun werden sie dich tödten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt: ich laß dich nicht hinaus.' 'So sterb ich dir hier vor Betrübnis,' antwortete das Rehchen, 'wenn ich das Hüfthorn höre, so mein ich, ich müßt aus den Schuhen springen!' Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Thür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er zu seinen Jägern 'nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zu Leide thut.' Sobald die Sonne untergegangen war, sprach der König zum Jäger 'nun komm und zeige mir das Waldhäuschen.' Und als er vor dem Thürlein war, klopfte er an und rief 'lieb Schwesterlein, laß mich herein.' Da gieng die Thür auf, und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das war so schön wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen erschrack als es sah daß nicht sein Rehlein sondern ein Mann herein kam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach 'willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau sein?' 'Ach ja,' antwortete das Mädchen,

Das Schwesterchen aber erschrack gewaltig, als es sah daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach ‘geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst.’ Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen hörte, sprach es ‘ich kanns nicht aushalten, ich muß dabei sein; so bald soll mich keiner kriegen.’ Das Schwesterchen weinte und sprach ‘nun werden sie dich tödten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt: ich laß dich nicht hinaus.’ ‘So sterb ich dir hier vor Betrübnis,’ antwortete das Rehchen, ‘wenn ich das Hüfthorn höre, so mein ich, ich müßt aus den Schuhen springen!’ Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Thür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er zu seinen Jägern ‘nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zu Leide thut.’ Sobald die Sonne untergegangen war, sprach der König zum Jäger ‘nun komm und zeige mir das Waldhäuschen.’ Und als er vor dem Thürlein war, klopfte er an und rief ‘lieb Schwesterlein, laß mich herein.’ Da gieng die Thür auf, und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das war so schön wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen erschrack als es sah daß nicht sein Rehlein sondern ein Mann herein kam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach ‘willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau sein?’ ‘Ach ja,’ antwortete das Mädchen,

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[68/0150] Das Schwesterchen aber erschrack gewaltig, als es sah daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach ‘geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst.’ Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen hörte, sprach es ‘ich kanns nicht aushalten, ich muß dabei sein; so bald soll mich keiner kriegen.’ Das Schwesterchen weinte und sprach ‘nun werden sie dich tödten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt: ich laß dich nicht hinaus.’ ‘So sterb ich dir hier vor Betrübnis,’ antwortete das Rehchen, ‘wenn ich das Hüfthorn höre, so mein ich, ich müßt aus den Schuhen springen!’ Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Thür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er zu seinen Jägern ‘nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zu Leide thut.’ Sobald die Sonne untergegangen war, sprach der König zum Jäger ‘nun komm und zeige mir das Waldhäuschen.’ Und als er vor dem Thürlein war, klopfte er an und rief ‘lieb Schwesterlein, laß mich herein.’ Da gieng die Thür auf, und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das war so schön wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen erschrack als es sah daß nicht sein Rehlein sondern ein Mann herein kam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach ‘willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau sein?’ ‘Ach ja,’ antwortete das Mädchen,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/150>, abgerufen am 22.11.2024.