Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sprach er, 'was für ein stolzes Thier, es trägt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und hat Sporn an, wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann giebts gewiß anderes Wetter.' Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht, und hörten mit großer Freude wie der Hahn um zwei, vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn ob das Thier nicht feil wäre, und wieviel er dafür verlangte. 'Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,' antwortete er. 'Ein Spottgeld für ein so kostbares Thier' riefen sie insgesammt, und gaben ihm gerne was er gefordert hatte.

Als er mit dem Reichthum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach 'so will ich mich doch aufmachen, und sehen ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.' Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern, und hatten so gut eine Sense auf der Schulter, als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch mit einer Jnsel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß drüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Aehren, und schoß sie fort, dabei kam viel um, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärmen. Da stellte sich der Mann hin, und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die

sprach er, ‘was für ein stolzes Thier, es trägt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und hat Sporn an, wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann giebts gewiß anderes Wetter.’ Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht, und hörten mit großer Freude wie der Hahn um zwei, vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn ob das Thier nicht feil wäre, und wieviel er dafür verlangte. ‘Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,’ antwortete er. ‘Ein Spottgeld für ein so kostbares Thier’ riefen sie insgesammt, und gaben ihm gerne was er gefordert hatte.

Als er mit dem Reichthum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach ‘so will ich mich doch aufmachen, und sehen ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.’ Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern, und hatten so gut eine Sense auf der Schulter, als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch mit einer Jnsel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß drüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Aehren, und schoß sie fort, dabei kam viel um, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärmen. Da stellte sich der Mann hin, und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0488" n="439"/>
sprach er, &#x2018;was für ein stolzes Thier, es trägt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und hat Sporn an, wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann giebts gewiß anderes Wetter.&#x2019; Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht, und hörten mit großer Freude wie der Hahn um zwei, vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn ob das Thier nicht feil wäre, und wieviel er dafür verlangte. &#x2018;Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,&#x2019; antwortete er. &#x2018;Ein Spottgeld für ein so kostbares Thier&#x2019; riefen sie insgesammt, und gaben ihm gerne was er gefordert hatte.</p><lb/>
        <p>Als er mit dem Reichthum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach &#x2018;so will ich mich doch aufmachen, und sehen ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.&#x2019; Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern, und hatten so gut eine Sense auf der Schulter, als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch mit einer Jnsel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß drüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Aehren, und schoß sie fort, dabei kam viel um, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärmen. Da stellte sich der Mann hin, und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0488] sprach er, ‘was für ein stolzes Thier, es trägt eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und hat Sporn an, wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann giebts gewiß anderes Wetter.’ Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht, und hörten mit großer Freude wie der Hahn um zwei, vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn ob das Thier nicht feil wäre, und wieviel er dafür verlangte. ‘Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,’ antwortete er. ‘Ein Spottgeld für ein so kostbares Thier’ riefen sie insgesammt, und gaben ihm gerne was er gefordert hatte. Als er mit dem Reichthum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach ‘so will ich mich doch aufmachen, und sehen ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.’ Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern, und hatten so gut eine Sense auf der Schulter, als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch mit einer Jnsel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß drüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Aehren, und schoß sie fort, dabei kam viel um, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärmen. Da stellte sich der Mann hin, und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-24T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/488
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/488>, abgerufen am 22.11.2024.