Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Schiff abstoßen, 'spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie der Vogel in der Luft.' Der Köng aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schüsseln, Becher, Näpfe, die Vögel, das Gewild und die wunderbaren Thiere; so giengen viele Stunden herum, sie besah alles, und in ihrer Freude merkte sie nicht daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann, und wollte heim: aber als sie an des Schiffes Rand kam, sah sie daß es fern vom Land auf hohem Meere gieng, und mit vollen Segeln forteilte. 'Ach', rief sie erschrocken, 'ich bin betrogen, ich bin entführt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!' Der König aber faßte sie bei der Hand und sprach 'ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein König und nicht geringer an Geburt, als du bist: aber daß ich dich mit List entführt habe, das ist aus übergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bildnis gesehen, bin ich ohnmächtig zur Erde gefallen.' Als die Königstochter vom goldenen Dache das hörte, ward sie getröstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte seine Gemahlin zu werden.

Es trug sich aber zu, während sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen: da hörte er auf zu spielen, und horchte was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief 'ei, da führt er die Königstochter vom goldenen Dache heim.' 'Ja' antwortete die zweite, 'er hat sie noch nicht.'

Schiff abstoßen, ‘spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie der Vogel in der Luft.’ Der Koͤng aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe, die Voͤgel, das Gewild und die wunderbaren Thiere; so giengen viele Stunden herum, sie besah alles, und in ihrer Freude merkte sie nicht daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann, und wollte heim: aber als sie an des Schiffes Rand kam, sah sie daß es fern vom Land auf hohem Meere gieng, und mit vollen Segeln forteilte. ‘Ach’, rief sie erschrocken, ‘ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!’ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach ‘ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist: aber daß ich dich mit List entfuͤhrt habe, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bildnis gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen.’ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte seine Gemahlin zu werden.

Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen: da hoͤrte er auf zu spielen, und horchte was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief ‘ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim.’ ‘Ja’ antwortete die zweite, ‘er hat sie noch nicht.’

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0071" n="40"/>
Schiff abstoßen, &#x2018;spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie der Vogel in der Luft.&#x2019; Der Ko&#x0364;ng aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schu&#x0364;sseln, Becher, Na&#x0364;pfe, die Vo&#x0364;gel, das Gewild und die wunderbaren Thiere; so giengen viele Stunden herum, sie besah alles, und in ihrer Freude merkte sie nicht daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann, und wollte heim: aber als sie an des Schiffes Rand kam, sah sie daß es fern vom Land auf hohem Meere gieng, und mit vollen Segeln forteilte. &#x2018;Ach&#x2019;, rief sie erschrocken, &#x2018;ich bin betrogen, ich bin entfu&#x0364;hrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!&#x2019; Der Ko&#x0364;nig aber faßte sie bei der Hand und sprach &#x2018;ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Ko&#x0364;nig und nicht geringer an Geburt, als du bist: aber daß ich dich mit List entfu&#x0364;hrt habe, das ist aus u&#x0364;bergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bildnis gesehen, bin ich ohnma&#x0364;chtig zur Erde gefallen.&#x2019; Als die Ko&#x0364;nigstochter vom goldenen Dache das ho&#x0364;rte, ward sie getro&#x0364;stet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte seine Gemahlin zu werden.</p><lb/>
        <p>Es trug sich aber zu, wa&#x0364;hrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen: da ho&#x0364;rte er auf zu spielen, und horchte was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief &#x2018;ei, da fu&#x0364;hrt er die Ko&#x0364;nigstochter vom goldenen Dache heim.&#x2019; &#x2018;Ja&#x2019; antwortete die zweite, &#x2018;er hat sie noch nicht.&#x2019;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0071] Schiff abstoßen, ‘spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie der Vogel in der Luft.’ Der Koͤng aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe, die Voͤgel, das Gewild und die wunderbaren Thiere; so giengen viele Stunden herum, sie besah alles, und in ihrer Freude merkte sie nicht daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann, und wollte heim: aber als sie an des Schiffes Rand kam, sah sie daß es fern vom Land auf hohem Meere gieng, und mit vollen Segeln forteilte. ‘Ach’, rief sie erschrocken, ‘ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!’ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach ‘ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist: aber daß ich dich mit List entfuͤhrt habe, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bildnis gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen.’ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte seine Gemahlin zu werden. Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen: da hoͤrte er auf zu spielen, und horchte was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief ‘ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim.’ ‘Ja’ antwortete die zweite, ‘er hat sie noch nicht.’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/71
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/71>, abgerufen am 28.11.2024.