Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.sechszig Bauerwagen geladen, und dem König heimgefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildprett zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt. Nun hatte der König große Freude darüber, und bestellte es sollte des andern Tags seine ganze Hofhaltung bei ihm speisen, und machte ein großes Gastmal. Wie sie alle beisammen waren, sprach er zu dem Jäger 'weil du so geschickt bist, so sollst du neben mir sitzen.' Er antwortete 'Herr König, Ew. Majestät halte zu Gnaden, ich bin ein schlechter Jägerbursch.' Der König aber bestand darauf, und sagte 'du sollst dich neben mich setzen,' bis er es that. Wie er da saß, dachte er an seine liebste Frau Mutter, und wünschte daß nur einer von des Königs ersten Dienern von ihr anfienge, und fragte wie es wohl der Frau Königin im Thurm gienge, ob sie wohl noch am Leben wäre oder verschmachtet. Kaum hatte er es gewünscht, so fieng auch schon der Marschall an, und sprach 'königliche Majestät, wir leben hier in Freuden, wie geht es wohl der Frau Königin im Thurm, ob sie wohl noch am Leben oder verschmachtet ist?' Aber der König antwortete 'sie hat mir meinen lieben Sohn von den wilden Thieren zerreißen lassen, davon will ich nichts hören.' Da stand der Jäger auf, und sprach 'gnädigster Herr Vater, sie ist noch am Leben, und ich bin ihr Sohn, und die wilden Thiere haben ihn nicht geraubt, sondern der Bösewicht, der alte Koch, hat mich, als sie eingeschlafen war, von ihrem Schooß geraubt, und ihre Schürze mit dem Blut eines Huhns betropft.' Und da nahm er den Hund mit dem goldenen Halsband, sechszig Bauerwagen geladen, und dem Koͤnig heimgefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildprett zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt. Nun hatte der Koͤnig große Freude daruͤber, und bestellte es sollte des andern Tags seine ganze Hofhaltung bei ihm speisen, und machte ein großes Gastmal. Wie sie alle beisammen waren, sprach er zu dem Jaͤger ‘weil du so geschickt bist, so sollst du neben mir sitzen.’ Er antwortete ‘Herr Koͤnig, Ew. Majestaͤt halte zu Gnaden, ich bin ein schlechter Jaͤgerbursch.’ Der Koͤnig aber bestand darauf, und sagte ‘du sollst dich neben mich setzen,’ bis er es that. Wie er da saß, dachte er an seine liebste Frau Mutter, und wuͤnschte daß nur einer von des Koͤnigs ersten Dienern von ihr anfienge, und fragte wie es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm gienge, ob sie wohl noch am Leben waͤre oder verschmachtet. Kaum hatte er es gewuͤnscht, so fieng auch schon der Marschall an, und sprach ‘koͤnigliche Majestaͤt, wir leben hier in Freuden, wie geht es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm, ob sie wohl noch am Leben oder verschmachtet ist?’ Aber der Koͤnig antwortete ‘sie hat mir meinen lieben Sohn von den wilden Thieren zerreißen lassen, davon will ich nichts hoͤren.’ Da stand der Jaͤger auf, und sprach ‘gnaͤdigster Herr Vater, sie ist noch am Leben, und ich bin ihr Sohn, und die wilden Thiere haben ihn nicht geraubt, sondern der Boͤsewicht, der alte Koch, hat mich, als sie eingeschlafen war, von ihrem Schooß geraubt, und ihre Schuͤrze mit dem Blut eines Huhns betropft.’ Und da nahm er den Hund mit dem goldenen Halsband, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0494" n="463"/> sechszig Bauerwagen geladen, und dem Koͤnig heimgefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildprett zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt.</p><lb/> <p>Nun hatte der Koͤnig große Freude daruͤber, und bestellte es sollte des andern Tags seine ganze Hofhaltung bei ihm speisen, und machte ein großes Gastmal. Wie sie alle beisammen waren, sprach er zu dem Jaͤger ‘weil du so geschickt bist, so sollst du neben mir sitzen.’ Er antwortete ‘Herr Koͤnig, Ew. Majestaͤt halte zu Gnaden, ich bin ein schlechter Jaͤgerbursch.’ Der Koͤnig aber bestand darauf, und sagte ‘du sollst dich neben mich setzen,’ bis er es that. Wie er da saß, dachte er an seine liebste Frau Mutter, und wuͤnschte daß nur einer von des Koͤnigs ersten Dienern von ihr anfienge, und fragte wie es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm gienge, ob sie wohl noch am Leben waͤre oder verschmachtet. Kaum hatte er es gewuͤnscht, so fieng auch schon der Marschall an, und sprach ‘koͤnigliche Majestaͤt, wir leben hier in Freuden, wie geht es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm, ob sie wohl noch am Leben oder verschmachtet ist?’ Aber der Koͤnig antwortete ‘sie hat mir meinen lieben Sohn von den wilden Thieren zerreißen lassen, davon will ich nichts hoͤren.’ Da stand der Jaͤger auf, und sprach ‘gnaͤdigster Herr Vater, sie ist noch am Leben, und ich bin ihr Sohn, und die wilden Thiere haben ihn nicht geraubt, sondern der Boͤsewicht, der alte Koch, hat mich, als sie eingeschlafen war, von ihrem Schooß geraubt, und ihre Schuͤrze mit dem Blut eines Huhns betropft.’ Und da nahm er den Hund mit dem goldenen Halsband, </p> </div> </body> </text> </TEI> [463/0494]
sechszig Bauerwagen geladen, und dem Koͤnig heimgefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildprett zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt.
Nun hatte der Koͤnig große Freude daruͤber, und bestellte es sollte des andern Tags seine ganze Hofhaltung bei ihm speisen, und machte ein großes Gastmal. Wie sie alle beisammen waren, sprach er zu dem Jaͤger ‘weil du so geschickt bist, so sollst du neben mir sitzen.’ Er antwortete ‘Herr Koͤnig, Ew. Majestaͤt halte zu Gnaden, ich bin ein schlechter Jaͤgerbursch.’ Der Koͤnig aber bestand darauf, und sagte ‘du sollst dich neben mich setzen,’ bis er es that. Wie er da saß, dachte er an seine liebste Frau Mutter, und wuͤnschte daß nur einer von des Koͤnigs ersten Dienern von ihr anfienge, und fragte wie es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm gienge, ob sie wohl noch am Leben waͤre oder verschmachtet. Kaum hatte er es gewuͤnscht, so fieng auch schon der Marschall an, und sprach ‘koͤnigliche Majestaͤt, wir leben hier in Freuden, wie geht es wohl der Frau Koͤnigin im Thurm, ob sie wohl noch am Leben oder verschmachtet ist?’ Aber der Koͤnig antwortete ‘sie hat mir meinen lieben Sohn von den wilden Thieren zerreißen lassen, davon will ich nichts hoͤren.’ Da stand der Jaͤger auf, und sprach ‘gnaͤdigster Herr Vater, sie ist noch am Leben, und ich bin ihr Sohn, und die wilden Thiere haben ihn nicht geraubt, sondern der Boͤsewicht, der alte Koch, hat mich, als sie eingeschlafen war, von ihrem Schooß geraubt, und ihre Schuͤrze mit dem Blut eines Huhns betropft.’ Und da nahm er den Hund mit dem goldenen Halsband,
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/494>, abgerufen am 16.02.2025. |