Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zähne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Hausthüre, und sprach 'den alten Sultan schieß ich morgen todt, der ist zu nichts mehr nütze.' Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Thiere hatte, antwortete 'da er uns so lange Jahr gedient hat, und ehrlich bei uns gehalten, so könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.' 'Ei was,' sagte der Mann, 'du bist nicht recht gescheidt, er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fürchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt.'
Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehört, und war traurig daß morgen sein letzter Tag seyn sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er Abends hinaus in den Wald, und klagte über das Schicksal, das ihm bevorstände. 'Höre, Gevatter,' sagte der Wolf, 'sey gutes Muthes, ich will dir aus deiner Noth helfen. Jch habe etwas ausgedacht. Morgen
48. Der alte Sultan.
Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zaͤhne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Hausthuͤre, und sprach ‘den alten Sultan schieß ich morgen todt, der ist zu nichts mehr nuͤtze.’ Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Thiere hatte, antwortete ‘da er uns so lange Jahr gedient hat, und ehrlich bei uns gehalten, so koͤnnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.’ ‘Ei was,’ sagte der Mann, ‘du bist nicht recht gescheidt, er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fuͤrchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafuͤr gekriegt.’
Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehoͤrt, und war traurig daß morgen sein letzter Tag seyn sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er Abends hinaus in den Wald, und klagte uͤber das Schicksal, das ihm bevorstaͤnde. ‘Hoͤre, Gevatter,’ sagte der Wolf, ‘sey gutes Muthes, ich will dir aus deiner Noth helfen. Jch habe etwas ausgedacht. Morgen
<TEI><text><body><pbfacs="#f0318"n="287"/><divn="1"><head><hirendition="#b">48.<lb/>
Der alte Sultan.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zaͤhne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Hausthuͤre, und sprach ‘den alten Sultan schieß ich morgen todt, der ist zu nichts mehr nuͤtze.’ Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Thiere hatte, antwortete ‘da er uns so lange Jahr gedient hat, und ehrlich bei uns gehalten, so koͤnnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.’‘Ei was,’ sagte der Mann, ‘du bist nicht recht gescheidt, er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fuͤrchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen <choice><sic>dafuͤ</sic><corr>dafuͤr</corr></choice> gekriegt.’</p><lb/><p>Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehoͤrt, und war traurig daß morgen sein letzter Tag seyn sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er Abends hinaus in den Wald, und klagte uͤber das Schicksal, das ihm bevorstaͤnde. ‘Hoͤre, Gevatter,’ sagte der Wolf, ‘sey gutes Muthes, ich will dir aus deiner Noth helfen. Jch habe etwas ausgedacht. Morgen
</p></div></body></text></TEI>
[287/0318]
48.
Der alte Sultan.
Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zaͤhne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Hausthuͤre, und sprach ‘den alten Sultan schieß ich morgen todt, der ist zu nichts mehr nuͤtze.’ Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Thiere hatte, antwortete ‘da er uns so lange Jahr gedient hat, und ehrlich bei uns gehalten, so koͤnnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.’ ‘Ei was,’ sagte der Mann, ‘du bist nicht recht gescheidt, er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fuͤrchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafuͤr gekriegt.’
Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehoͤrt, und war traurig daß morgen sein letzter Tag seyn sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er Abends hinaus in den Wald, und klagte uͤber das Schicksal, das ihm bevorstaͤnde. ‘Hoͤre, Gevatter,’ sagte der Wolf, ‘sey gutes Muthes, ich will dir aus deiner Noth helfen. Jch habe etwas ausgedacht. Morgen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/318>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.