Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. "Ach, rief sie erschrocken, ich bin betrogen, ich bin entführt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!" Der König aber faßte sie bei der Hand und sprach: "ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein König und nicht geringer an Geburt, als du bist, aber daß ich dich mit List entführt, das ist aus übergroßer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildniß gesehen, bin ich ohnmächtig zur Erde gefallen." Als die Königstochter vom goldenen Dache das hörte, ward sie getröstet und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden. Es trug sich aber zu, während sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen; da hörte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief: "ei, da führt er die Königstochter vom goldenen Dache heim!" "Ja, antwortete die zweite, er hat sie noch nicht!" Sprach die dritte: "er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiff." Da fing die erste wieder an und rief: "was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen wird ihm ein fuchsrothes Pferd entgegen springen, da wird er sich aufschwingen wollen und thut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr seine Jungfrau wieder sieht." Sprach die zweite: "ist da gar keine Rettung?" "O ja wenn der, welcher auf dem Pferd sitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt und es damit todt kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. „Ach, rief sie erschrocken, ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!“ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach: „ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist, aber daß ich dich mit List entfuͤhrt, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildniß gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen.“ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden. Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen; da hoͤrte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief: „ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim!“ „Ja, antwortete die zweite, er hat sie noch nicht!“ Sprach die dritte: „er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiff.“ Da fing die erste wieder an und rief: „was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen wird ihm ein fuchsrothes Pferd entgegen springen, da wird er sich aufschwingen wollen und thut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr seine Jungfrau wieder sieht.“ Sprach die zweite: „ist da gar keine Rettung?“ „O ja wenn der, welcher auf dem Pferd sitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt und es damit todt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="34"/> kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. „Ach, rief sie erschrocken, ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!“ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach: „ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist, aber daß ich dich mit List entfuͤhrt, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildniß gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen.“ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden.</p><lb/> <p>Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen; da hoͤrte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief: „ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim!“ „Ja, antwortete die zweite, er hat sie noch nicht!“ Sprach die dritte: „er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiff.“ Da fing die erste wieder an und rief: „was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen wird ihm ein fuchsrothes Pferd entgegen springen, da wird er sich aufschwingen wollen und thut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr seine Jungfrau wieder sieht.“ Sprach die zweite: „ist da gar keine Rettung?“ „O ja wenn der, welcher auf dem Pferd sitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt und es damit todt </p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0098]
kam, sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. „Ach, rief sie erschrocken, ich bin betrogen, ich bin entfuͤhrt und in die Gewalt eines Kaufmanns gerathen; lieber wollt ich sterben!“ Der Koͤnig aber faßte sie bei der Hand und sprach: „ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein Koͤnig und nicht geringer an Geburt, als du bist, aber daß ich dich mit List entfuͤhrt, das ist aus uͤbergroßer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildniß gesehen, bin ich ohnmaͤchtig zur Erde gefallen.“ Als die Koͤnigstochter vom goldenen Dache das hoͤrte, ward sie getroͤstet und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden.
Es trug sich aber zu, waͤhrend sie nun auf dem hohen Meere fuhren, daß der getreue Johannes, als er vornen auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die daher geflogen kamen; da hoͤrte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Die eine rief: „ei, da fuͤhrt er die Koͤnigstochter vom goldenen Dache heim!“ „Ja, antwortete die zweite, er hat sie noch nicht!“ Sprach die dritte: „er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiff.“ Da fing die erste wieder an und rief: „was hilft ihm das! wenn sie ans Land kommen wird ihm ein fuchsrothes Pferd entgegen springen, da wird er sich aufschwingen wollen und thut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, daß er nimmer mehr seine Jungfrau wieder sieht.“ Sprach die zweite: „ist da gar keine Rettung?“ „O ja wenn der, welcher auf dem Pferd sitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, heraus nimmt und es damit todt
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/98>, abgerufen am 28.07.2024. |