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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Es war aber bestimmt, daß, wer am ersten Wasser aus einem fern gelegenen Brunnen brächte, Sieger seyn sollte. Nun bekam der Laufer einen Krug und die Königstochter auch einen, und sie fingen zu gleicher Zeit zu laufen an; aber in einem Augenblick, als die Königstochter erst eine kleine Strecke fort war, konnte den Laufer schon kein Zuschauer mehr sehen und es war nicht anders, als wäre der Wind vorbei gesaust. Jn kurzer Zeit langte er bei dem Brunnen an, schöpfte den Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten aber auf dem Heimweg überkam ihm eine Müdigkeit, da setzte er den Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er legte aber den Kopf auf einen Pferdeschädel, damit er hart liege und bald wieder erwache. Jndessen war die Königstochter, die auch gut laufen konnte, so gut als ein gewöhnlicher Mensch vermag, zu dem Brunnen gekommen und lief mit ihrem Krug voll Wasser zurück, und als sie den Laufer da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach: "der Feind ist in meine Hände gegeben," leerte seinen Krug aus und sprang weiter. Nun wär alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Glück der Jäger mit seinen scharfen Augen oben auf dem Schloß gestanden und alles mit angesehen hätte. Da sprach er: "die Königstochter soll dennoch gegen uns nicht aufkommen," lud seine Büchse und schoß sie so künstlich auf den Laufer, daß er den Pferdeschädel ihm unter dem Kopf wegschoß, ohne ihm weh zu thun und ihn aufweckte. Da erwachte der Laufer, sprang in die Höhe und sah, daß sein Krug leer und die Königstochter schon vor ihm war. Aber er verlor den Muth nicht, faßte den Krug, lief wieder

Es war aber bestimmt, daß, wer am ersten Wasser aus einem fern gelegenen Brunnen braͤchte, Sieger seyn sollte. Nun bekam der Laufer einen Krug und die Koͤnigstochter auch einen, und sie fingen zu gleicher Zeit zu laufen an; aber in einem Augenblick, als die Koͤnigstochter erst eine kleine Strecke fort war, konnte den Laufer schon kein Zuschauer mehr sehen und es war nicht anders, als waͤre der Wind vorbei gesaust. Jn kurzer Zeit langte er bei dem Brunnen an, schoͤpfte den Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten aber auf dem Heimweg uͤberkam ihm eine Muͤdigkeit, da setzte er den Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er legte aber den Kopf auf einen Pferdeschaͤdel, damit er hart liege und bald wieder erwache. Jndessen war die Koͤnigstochter, die auch gut laufen konnte, so gut als ein gewoͤhnlicher Mensch vermag, zu dem Brunnen gekommen und lief mit ihrem Krug voll Wasser zuruͤck, und als sie den Laufer da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach: „der Feind ist in meine Haͤnde gegeben,“ leerte seinen Krug aus und sprang weiter. Nun waͤr alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Gluͤck der Jaͤger mit seinen scharfen Augen oben auf dem Schloß gestanden und alles mit angesehen haͤtte. Da sprach er: „die Koͤnigstochter soll dennoch gegen uns nicht aufkommen,“ lud seine Buͤchse und schoß sie so kuͤnstlich auf den Laufer, daß er den Pferdeschaͤdel ihm unter dem Kopf wegschoß, ohne ihm weh zu thun und ihn aufweckte. Da erwachte der Laufer, sprang in die Hoͤhe und sah, daß sein Krug leer und die Koͤnigstochter schon vor ihm war. Aber er verlor den Muth nicht, faßte den Krug, lief wieder

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[381/0445] Es war aber bestimmt, daß, wer am ersten Wasser aus einem fern gelegenen Brunnen braͤchte, Sieger seyn sollte. Nun bekam der Laufer einen Krug und die Koͤnigstochter auch einen, und sie fingen zu gleicher Zeit zu laufen an; aber in einem Augenblick, als die Koͤnigstochter erst eine kleine Strecke fort war, konnte den Laufer schon kein Zuschauer mehr sehen und es war nicht anders, als waͤre der Wind vorbei gesaust. Jn kurzer Zeit langte er bei dem Brunnen an, schoͤpfte den Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten aber auf dem Heimweg uͤberkam ihm eine Muͤdigkeit, da setzte er den Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er legte aber den Kopf auf einen Pferdeschaͤdel, damit er hart liege und bald wieder erwache. Jndessen war die Koͤnigstochter, die auch gut laufen konnte, so gut als ein gewoͤhnlicher Mensch vermag, zu dem Brunnen gekommen und lief mit ihrem Krug voll Wasser zuruͤck, und als sie den Laufer da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach: „der Feind ist in meine Haͤnde gegeben,“ leerte seinen Krug aus und sprang weiter. Nun waͤr alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Gluͤck der Jaͤger mit seinen scharfen Augen oben auf dem Schloß gestanden und alles mit angesehen haͤtte. Da sprach er: „die Koͤnigstochter soll dennoch gegen uns nicht aufkommen,“ lud seine Buͤchse und schoß sie so kuͤnstlich auf den Laufer, daß er den Pferdeschaͤdel ihm unter dem Kopf wegschoß, ohne ihm weh zu thun und ihn aufweckte. Da erwachte der Laufer, sprang in die Hoͤhe und sah, daß sein Krug leer und die Koͤnigstochter schon vor ihm war. Aber er verlor den Muth nicht, faßte den Krug, lief wieder

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/445>, abgerufen am 22.11.2024.