Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.60.
Die zwei Brüder. Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen, der arme nährte sich davon, daß er Besen band und war gut und redlich. Der Arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder und sich so ähnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei gingen in des Reichen Haus ab und zu, und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf und warf nach ihm und traf ihn auch glücklich, es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: "es ist eitel Gold" und gab ihm viel Geld dafür. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Aeste abhauen, da flog derselbe Vogel heraus, und der Mann suchte und fand ein Nest und ein Ei darin von Gold. Er nahm es mit heim und als er es seinem Bruder brachte, sprach dieser wiederum: "es ist eitel Gold" und gab ihm, was es werth war. Zuletzt sagte der Goldschmied noch: "den Vogel selber möcht ich wohl haben." Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen, da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem 60.
Die zwei Bruͤder. Es waren einmal zwei Bruͤder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und boͤs von Herzen, der arme naͤhrte sich davon, daß er Besen band und war gut und redlich. Der Arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbruͤder und sich so aͤhnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei gingen in des Reichen Haus ab und zu, und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schoͤn, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf und warf nach ihm und traf ihn auch gluͤcklich, es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: „es ist eitel Gold“ und gab ihm viel Geld dafuͤr. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Aeste abhauen, da flog derselbe Vogel heraus, und der Mann suchte und fand ein Nest und ein Ei darin von Gold. Er nahm es mit heim und als er es seinem Bruder brachte, sprach dieser wiederum: „es ist eitel Gold“ und gab ihm, was es werth war. Zuletzt sagte der Goldschmied noch: „den Vogel selber moͤcht ich wohl haben.“ Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen, da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0374" n="310"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">60.<lb/> Die zwei Bruͤder.</hi> </head><lb/> <p>Es waren einmal zwei Bruͤder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und boͤs von Herzen, der arme naͤhrte sich davon, daß er Besen band und war gut und redlich. Der Arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbruͤder und sich so aͤhnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei gingen in des Reichen Haus ab und zu, und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schoͤn, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf und warf nach ihm und traf ihn auch gluͤcklich, es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: „es ist eitel Gold“ und gab ihm viel Geld dafuͤr. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Aeste abhauen, da flog derselbe Vogel heraus, und der Mann suchte und fand ein Nest und ein Ei darin von Gold. Er nahm es mit heim und als er es seinem Bruder brachte, sprach dieser wiederum: „es ist eitel Gold“ und gab ihm, was es werth war. Zuletzt sagte der Goldschmied noch: „den Vogel selber moͤcht ich wohl haben.“ Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen, da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem </p> </div> </body> </text> </TEI> [310/0374]
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Die zwei Bruͤder.
Es waren einmal zwei Bruͤder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und boͤs von Herzen, der arme naͤhrte sich davon, daß er Besen band und war gut und redlich. Der Arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbruͤder und sich so aͤhnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei gingen in des Reichen Haus ab und zu, und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schoͤn, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf und warf nach ihm und traf ihn auch gluͤcklich, es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: „es ist eitel Gold“ und gab ihm viel Geld dafuͤr. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Aeste abhauen, da flog derselbe Vogel heraus, und der Mann suchte und fand ein Nest und ein Ei darin von Gold. Er nahm es mit heim und als er es seinem Bruder brachte, sprach dieser wiederum: „es ist eitel Gold“ und gab ihm, was es werth war. Zuletzt sagte der Goldschmied noch: „den Vogel selber moͤcht ich wohl haben.“ Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen, da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/374>, abgerufen am 22.02.2025. |