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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"

antwortete er:

"Frau Königin, ihr seyd die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr."

Als die Königin das hörte, erschrak sie und ward blaß vor Zorn und Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie es. Und der Neid und Hochmuth wuchsen und wurden so groß in ihr, daß sie ihr Tag und Nacht keine Ruh mehr ließen. Da rief sie einen Jäger und sprach: "führ das Kind hinaus in den wilden Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Dort sollst du's tödten, und mir Lung und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der Jäger gehorchte und führte Sneewittchen hinaus, als er nun den Hirschfänger gezogen hatte und ihm sein unschuldiges Herz durchstoßen wollte, fing es an zu weinen und sprach: "ach, lieber Jäger, schenk mir mein Leben; ich will in den Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen." Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "so lauf hin, du armes Kind." Die wilden Thiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch wars ihm, als wär ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu tödten brauchte. Und weil gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lung und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Die ließ sie in ihrer Gier gleich in Salz

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“

antwortete er:

„Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schoͤner als ihr.“

Als die Koͤnigin das hoͤrte, erschrak sie und ward blaß vor Zorn und Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie es. Und der Neid und Hochmuth wuchsen und wurden so groß in ihr, daß sie ihr Tag und Nacht keine Ruh mehr ließen. Da rief sie einen Jaͤger und sprach: „fuͤhr das Kind hinaus in den wilden Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Dort sollst du’s toͤdten, und mir Lung und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.“ Der Jaͤger gehorchte und fuͤhrte Sneewittchen hinaus, als er nun den Hirschfaͤnger gezogen hatte und ihm sein unschuldiges Herz durchstoßen wollte, fing es an zu weinen und sprach: „ach, lieber Jaͤger, schenk mir mein Leben; ich will in den Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen.“ Und weil es so schoͤn war, hatte der Jaͤger Mitleiden und sprach: „so lauf hin, du armes Kind.“ Die wilden Thiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch wars ihm, als waͤr ein Stein von seinem Herzen gewaͤlzt, weil er es nicht zu toͤdten brauchte. Und weil gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lung und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit. Die ließ sie in ihrer Gier gleich in Salz

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[264/0328] „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“ antwortete er: „Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier, aber Sneewittchen ist tausendmal schoͤner als ihr.“ Als die Koͤnigin das hoͤrte, erschrak sie und ward blaß vor Zorn und Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie es. Und der Neid und Hochmuth wuchsen und wurden so groß in ihr, daß sie ihr Tag und Nacht keine Ruh mehr ließen. Da rief sie einen Jaͤger und sprach: „fuͤhr das Kind hinaus in den wilden Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Dort sollst du’s toͤdten, und mir Lung und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.“ Der Jaͤger gehorchte und fuͤhrte Sneewittchen hinaus, als er nun den Hirschfaͤnger gezogen hatte und ihm sein unschuldiges Herz durchstoßen wollte, fing es an zu weinen und sprach: „ach, lieber Jaͤger, schenk mir mein Leben; ich will in den Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen.“ Und weil es so schoͤn war, hatte der Jaͤger Mitleiden und sprach: „so lauf hin, du armes Kind.“ Die wilden Thiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch wars ihm, als waͤr ein Stein von seinem Herzen gewaͤlzt, weil er es nicht zu toͤdten brauchte. Und weil gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lung und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit. Die ließ sie in ihrer Gier gleich in Salz

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/328>, abgerufen am 24.11.2024.