Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.Viehmännin, war noch rüstig, und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf.*) Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtniß, eine Gabe, die, wie sie wohl sagte, nicht jedem verliehen sey, und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Uebung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich beibehalten, und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen seyn. Wer an leichte Verfälschung der Ueberlieferung, Nachlässigkeit bei Aufbewahrung, und daher an Unmöglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der hätte hören müssen, wie genau sie immer bei der Erzählung blieb, *) Unser Bruder, Ludwig Grimm, hat eine recht ähnliche und natürliche Zeichnung von ihr radirt, sie wird einmal in der Sammlung seiner Blätter, wovon bei Artaria ein Heft erschienen ist, zu haben sein. Einen zwar verkleinerten doch wohlgerathenen Nachstich davon liefert das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Unglück, das wohlthätige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die höchste Noth in ihre schon arme Hütte. Sie wurde siech und starb am 17. Nov. 1816.
Viehmaͤnnin, war noch ruͤstig, und nicht viel uͤber fuͤnfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszuͤge hatten etwas Festes, Verstaͤndiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf.*) Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedaͤchtniß, eine Gabe, die, wie sie wohl sagte, nicht jedem verliehen sey, und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten koͤnne. Dabei erzaͤhlte sie bedaͤchtig, sicher und ungemein lebendig mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Uebung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise woͤrtlich beibehalten, und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen seyn. Wer an leichte Verfaͤlschung der Ueberlieferung, Nachlaͤssigkeit bei Aufbewahrung, und daher an Unmoͤglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der haͤtte hoͤren muͤssen, wie genau sie immer bei der Erzaͤhlung blieb, *) Unser Bruder, Ludwig Grimm, hat eine recht aͤhnliche und natuͤrliche Zeichnung von ihr radirt, sie wird einmal in der Sammlung seiner Blaͤtter, wovon bei Artaria ein Heft erschienen ist, zu haben sein. Einen zwar verkleinerten doch wohlgerathenen Nachstich davon liefert das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Ungluͤck, das wohlthaͤtige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die hoͤchste Noth in ihre schon arme Huͤtte. Sie wurde siech und starb am 17. Nov. 1816.
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Viehmaͤnnin, war noch ruͤstig, und nicht viel uͤber fuͤnfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszuͤge hatten etwas Festes, Verstaͤndiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. *) Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedaͤchtniß, eine Gabe, die, wie sie wohl sagte, nicht jedem verliehen sey, und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten koͤnne. Dabei erzaͤhlte sie bedaͤchtig, sicher und ungemein lebendig mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Uebung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise woͤrtlich beibehalten, und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen seyn. Wer an leichte Verfaͤlschung der Ueberlieferung, Nachlaͤssigkeit bei Aufbewahrung, und daher an Unmoͤglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der haͤtte hoͤren muͤssen, wie genau sie immer bei der Erzaͤhlung blieb,
*) Unser Bruder, Ludwig Grimm, hat eine recht aͤhnliche und natuͤrliche Zeichnung von ihr radirt, sie wird einmal in der Sammlung seiner Blaͤtter, wovon bei Artaria ein Heft erschienen ist, zu haben sein. Einen zwar verkleinerten doch wohlgerathenen Nachstich davon liefert das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Ungluͤck, das wohlthaͤtige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die hoͤchste Noth in ihre schon arme Huͤtte. Sie wurde siech und starb am 17. Nov. 1816.
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