Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: "ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt." Das Mädchen sprach weinend: "ist denn kein Mittel, sie zu erlösen?" "Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Brüder werden von dem Wort getödtet." Da sprach das Mädchen in seinem Herzen: "ich will meine Brüder gewiß erlösen" und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fräulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei und sah die schöne Königstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt, fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: „ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwoͤlf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Bruͤder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.“ Das Maͤdchen sprach weinend: „ist denn kein Mittel, sie zu erloͤsen?“ „Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Bruͤder werden von dem Wort getoͤdtet.“ Da sprach das Maͤdchen in seinem Herzen: „ich will meine Bruͤder gewiß erloͤsen“ und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein Koͤnig in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fraͤulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der Koͤnig herbei und sah die schoͤne Koͤnigstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzuͤckt uͤber ihre Schoͤnheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnuͤgt gelebt, fing die Mutter des Koͤnigs, die eine boͤse Frau war, an, die junge Koͤnigin zu verlaͤumden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="53"/> dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: „ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwoͤlf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Bruͤder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.“ Das Maͤdchen sprach weinend: „ist denn kein Mittel, sie zu erloͤsen?“ „Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Bruͤder werden von dem Wort getoͤdtet.“</p><lb/> <p>Da sprach das Maͤdchen in seinem Herzen: „ich will meine Bruͤder gewiß erloͤsen“ und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein Koͤnig in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fraͤulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der Koͤnig herbei und sah die schoͤne Koͤnigstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzuͤckt uͤber ihre Schoͤnheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnuͤgt gelebt, fing die Mutter des Koͤnigs, die eine boͤse Frau war, an, die junge Koͤnigin zu verlaͤumden </p> </div> </body> </text> </TEI> [53/0117]
dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: „ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwoͤlf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Bruͤder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.“ Das Maͤdchen sprach weinend: „ist denn kein Mittel, sie zu erloͤsen?“ „Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Bruͤder werden von dem Wort getoͤdtet.“
Da sprach das Maͤdchen in seinem Herzen: „ich will meine Bruͤder gewiß erloͤsen“ und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein Koͤnig in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fraͤulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der Koͤnig herbei und sah die schoͤne Koͤnigstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzuͤckt uͤber ihre Schoͤnheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnuͤgt gelebt, fing die Mutter des Koͤnigs, die eine boͤse Frau war, an, die junge Koͤnigin zu verlaͤumden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |