Die andern Nächte gings ebenso, aber er wuß- te schon, wie es anzugreifen war, und am vier- ten Tag ward ihm die schöne Königstochter ge- geben.
5. Der Wolf und die sieben jungen Geislein.
Eine Geis hatte sieben Junge, die sie gar lieb hatte und sorgfältig vor dem Wolf hütete. Eines Tags, als sie ausgehen mußte, Futter zu holen, rief sie alle zusammen und sagte: "liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein, gebt auch Acht, denn er verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Pfoten könnt ihr ihn erkennen; hütet euch, wenn er erst einmal im Haus ist, so frißt er euch alle miteinander." Darauf ging sie fort, bald aber kam der Wolf vor die Haus- thüre und rief: "liebe Kinder, macht mir auf, ich bin eure Mutter und hab' euch schöne Sa- chen mitgebracht." Die sieben Geiserchen aber sprachen: "unsere Mutter bist du nicht, die hat eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber ist rauh, du bist der Wolf, wir machen dir nicht auf." Der Wolf ging fort zu einem Krämer und kaufte sich ein groß Stück Kreide, die aß
Kindermärchen. B
Die andern Naͤchte gings ebenſo, aber er wuß- te ſchon, wie es anzugreifen war, und am vier- ten Tag ward ihm die ſchoͤne Koͤnigstochter ge- geben.
5. Der Wolf und die ſieben jungen Geiſlein.
Eine Geis hatte ſieben Junge, die ſie gar lieb hatte und ſorgfaͤltig vor dem Wolf huͤtete. Eines Tags, als ſie ausgehen mußte, Futter zu holen, rief ſie alle zuſammen und ſagte: „liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn nicht herein, gebt auch Acht, denn er verſtellt ſich oft, aber an ſeiner rauhen Stimme und an ſeinen ſchwarzen Pfoten koͤnnt ihr ihn erkennen; huͤtet euch, wenn er erſt einmal im Haus iſt, ſo frißt er euch alle miteinander.“ Darauf ging ſie fort, bald aber kam der Wolf vor die Haus- thuͤre und rief: „liebe Kinder, macht mir auf, ich bin eure Mutter und hab' euch ſchoͤne Sa- chen mitgebracht.“ Die ſieben Geiſerchen aber ſprachen: „unſere Mutter biſt du nicht, die hat eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber iſt rauh, du biſt der Wolf, wir machen dir nicht auf.“ Der Wolf ging fort zu einem Kraͤmer und kaufte ſich ein groß Stuͤck Kreide, die aß
Kindermärchen. B
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Die andern Naͤchte gings ebenſo, aber er wuß-
te ſchon, wie es anzugreifen war, und am vier-
ten Tag ward ihm die ſchoͤne Koͤnigstochter ge-
geben.
5.
Der Wolf und die ſieben jungen
Geiſlein.
Eine Geis hatte ſieben Junge, die ſie gar
lieb hatte und ſorgfaͤltig vor dem Wolf huͤtete.
Eines Tags, als ſie ausgehen mußte, Futter
zu holen, rief ſie alle zuſammen und ſagte:
„liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter
holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn
nicht herein, gebt auch Acht, denn er verſtellt
ſich oft, aber an ſeiner rauhen Stimme und an
ſeinen ſchwarzen Pfoten koͤnnt ihr ihn erkennen;
huͤtet euch, wenn er erſt einmal im Haus iſt,
ſo frißt er euch alle miteinander.“ Darauf ging
ſie fort, bald aber kam der Wolf vor die Haus-
thuͤre und rief: „liebe Kinder, macht mir auf,
ich bin eure Mutter und hab' euch ſchoͤne Sa-
chen mitgebracht.“ Die ſieben Geiſerchen aber
ſprachen: „unſere Mutter biſt du nicht, die hat
eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber
iſt rauh, du biſt der Wolf, wir machen dir nicht
auf.“ Der Wolf ging fort zu einem Kraͤmer
und kaufte ſich ein groß Stuͤck Kreide, die aß
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/51>, abgerufen am 18.11.2024.
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