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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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5) Fällt Schnee, so sind es Federn aus dem
großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen ist;
oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehört
eine merkwürdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7.
und 31.) wonach bereits die alten Skythen den
schneienden Himmel voller Federn glaubten.

Vom wehenden Schneien in großen Flocken:
"Müller und Becker schlagen sich einander." (J.
Pauls Fixlein p. 94.) Der Schnee ist Mehl. Hier
wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meisters-
gesangbuch CCCXXII.) klar:
swan so der sne gevallen ist, so hor ich dat
vil dicke
man sprichet: gib den wynden brot, er
hat gesnyget!
swer syne guten wynde laz in hungernot
verderben den sumer lanc,
der mac des winters in dem sne vil lutzel mite
ir (? in) erwerben, ir macht ist krank.

soll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten,
woraus man den hungrigen Winden Brod backen
solle? Daß die Winde hungrig, vielfressend sind,
erhellt aus der nordischen Mythe, Vafthrudnismal
37; der Wind heißt Hräsvelgr, cadaverum hel-
luo
(svelgia, schwelgen, svelta, hungern) oder viel-
mehr: er kommt aus den Adlerflügeln des
Hräsvelgr. Er ist also ein Vogel und dies bestä-
tigt der latein. Name aquilo, der nach Festus
a vehementissimo volatu ad instar aquilae
be
nannt wird, im Grund aber der Adler selbst ist,
denn wie dieser der Vögel König, so ist aquilo
der Winde König. Besondere Erläuterung gewährt
aber, was Prätorius in s. Weltbeschreibung 1, 429
berichtet: "zu Bamberg in Franken zur Zeit eines
starken Windes hat ein alt Weib ihren Mehl-
sack
in die Hand gefaßt, und denselben aus dem
Fenster in die freie Luft nebenst diesen Wörtern
ausgeschüttet:

lege dich, lieber Wind,
bringe das deinem Kind!

sie wollte hiermit den Hunger des Windes
stillen
, da sie glaubte derselbige wüthe darum,
wie ein fräßiger Löwe, oder ein grimmiger Wolf."

5) Faͤllt Schnee, ſo ſind es Federn aus dem
großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen iſt;
oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehoͤrt
eine merkwuͤrdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7.
und 31.) wonach bereits die alten Skythen den
ſchneienden Himmel voller Federn glaubten.

Vom wehenden Schneien in großen Flocken:
„Muͤller und Becker ſchlagen ſich einander.“ (J.
Pauls Fixlein p. 94.) Der Schnee iſt Mehl. Hier
wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meiſters-
geſangbuch CCCXXII.) klar:
ſwan ſo der ſne gevallen iſt, ſo hor ich dat
vil dicke
man ſprichet: gib den wynden brot, er
hat geſnyget!
ſwer ſyne guten wynde laz in hungernot
verderben den ſumer lanc,
der mac des winters in dem ſne vil lutzel mite
ir (? in) erwerben, ir macht iſt krank.

ſoll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten,
woraus man den hungrigen Winden Brod backen
ſolle? Daß die Winde hungrig, vielfreſſend ſind,
erhellt aus der nordiſchen Mythe, Vafthrudnismal
37; der Wind heißt Hraͤſvelgr, cadaverum hel-
luo
(ſvelgia, ſchwelgen, ſvelta, hungern) oder viel-
mehr: er kommt aus den Adlerfluͤgeln des
Hraͤſvelgr. Er iſt alſo ein Vogel und dies beſtaͤ-
tigt der latein. Name aquilo, der nach Festus
a vehementissimo volatu ad instar aquilae
be
nannt wird, im Grund aber der Adler ſelbſt iſt,
denn wie dieſer der Voͤgel Koͤnig, ſo iſt aquilo
der Winde Koͤnig. Beſondere Erlaͤuterung gewaͤhrt
aber, was Praͤtorius in ſ. Weltbeſchreibung 1, 429
berichtet: „zu Bamberg in Franken zur Zeit eines
ſtarken Windes hat ein alt Weib ihren Mehl-
ſack
in die Hand gefaßt, und denſelben aus dem
Fenſter in die freie Luft nebenſt dieſen Woͤrtern
ausgeſchuͤttet:

lege dich, lieber Wind,
bringe das deinem Kind!

ſie wollte hiermit den Hunger des Windes
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, da ſie glaubte derſelbige wuͤthe darum,
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[LIX/0481] 5) Faͤllt Schnee, ſo ſind es Federn aus dem großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen iſt; oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehoͤrt eine merkwuͤrdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7. und 31.) wonach bereits die alten Skythen den ſchneienden Himmel voller Federn glaubten. Vom wehenden Schneien in großen Flocken: „Muͤller und Becker ſchlagen ſich einander.“ (J. Pauls Fixlein p. 94.) Der Schnee iſt Mehl. Hier wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meiſters- geſangbuch CCCXXII.) klar: ſwan ſo der ſne gevallen iſt, ſo hor ich dat vil dicke man ſprichet: gib den wynden brot, er hat geſnyget! ſwer ſyne guten wynde laz in hungernot verderben den ſumer lanc, der mac des winters in dem ſne vil lutzel mite ir (? in) erwerben, ir macht iſt krank. ſoll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten, woraus man den hungrigen Winden Brod backen ſolle? Daß die Winde hungrig, vielfreſſend ſind, erhellt aus der nordiſchen Mythe, Vafthrudnismal 37; der Wind heißt Hraͤſvelgr, cadaverum hel- luo (ſvelgia, ſchwelgen, ſvelta, hungern) oder viel- mehr: er kommt aus den Adlerfluͤgeln des Hraͤſvelgr. Er iſt alſo ein Vogel und dies beſtaͤ- tigt der latein. Name aquilo, der nach Festus a vehementissimo volatu ad instar aquilae be nannt wird, im Grund aber der Adler ſelbſt iſt, denn wie dieſer der Voͤgel Koͤnig, ſo iſt aquilo der Winde Koͤnig. Beſondere Erlaͤuterung gewaͤhrt aber, was Praͤtorius in ſ. Weltbeſchreibung 1, 429 berichtet: „zu Bamberg in Franken zur Zeit eines ſtarken Windes hat ein alt Weib ihren Mehl- ſack in die Hand gefaßt, und denſelben aus dem Fenſter in die freie Luft nebenſt dieſen Woͤrtern ausgeſchuͤttet: lege dich, lieber Wind, bringe das deinem Kind! ſie wollte hiermit den Hunger des Windes ſtillen, da ſie glaubte derſelbige wuͤthe darum, wie ein fraͤßiger Loͤwe, oder ein grimmiger Wolf.“

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. LIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/481>, abgerufen am 23.11.2024.