Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

fisch geschwommen, verschluckte das Ei und spie
es ans Land. Reinald nahm es und schlug es
mit einem Stein auf, da lag ein kleiner Schlüs-
sel darin, und das war der Schlüssel, der die
Stahlthür öffnete. Und wie er sie nur damit
berührte, sprang sie von selber auf, und er trat
ein, und vor den andern Thüren schoben sich
die Riegel von selber zurück, und durch ihrer
sieben trat er in sieben prächtige hellerleuchtete
Kammern, und in der letzten Kammer lag eine
Jungfrau auf einem Bett und schlief. Die
Jungfrau war aber so schön, daß er ganz ge-
blendet davon ward, er wollte sie aufwecken,
das war aber vergebens, sie schlief so fest als
wäre sie tod. Da schlug er vor Zorn auf eine
schwarze Tafel, die neben dem Bett stand; in
dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel
aber gleich wieder in den Schlaf zurück, da
nahm er die Tafel und warf sie auf den stei-
nernen Boden, daß sie in tausend Stücken
zersprang. Kaum war das geschehen, so schlug
die Jungfrau die Augen hell auf, und der Zau-
ber war gelöst. Sie war aber die Schwester
von den drei Schwägern Reinalds, und weil sie
einem gottlosen Zauberer ihre Liebe versagt,
hatte er sie in den Todesschlaf gesenkt, und ihre
Brüder in Thiere verwandelt, und das sollte
so lang währen, als die schwarze Tafel unver-
sehrt blieb.


fiſch geſchwommen, verſchluckte das Ei und ſpie
es ans Land. Reinald nahm es und ſchlug es
mit einem Stein auf, da lag ein kleiner Schluͤſ-
ſel darin, und das war der Schluͤſſel, der die
Stahlthuͤr oͤffnete. Und wie er ſie nur damit
beruͤhrte, ſprang ſie von ſelber auf, und er trat
ein, und vor den andern Thuͤren ſchoben ſich
die Riegel von ſelber zuruͤck, und durch ihrer
ſieben trat er in ſieben praͤchtige hellerleuchtete
Kammern, und in der letzten Kammer lag eine
Jungfrau auf einem Bett und ſchlief. Die
Jungfrau war aber ſo ſchoͤn, daß er ganz ge-
blendet davon ward, er wollte ſie aufwecken,
das war aber vergebens, ſie ſchlief ſo feſt als
waͤre ſie tod. Da ſchlug er vor Zorn auf eine
ſchwarze Tafel, die neben dem Bett ſtand; in
dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel
aber gleich wieder in den Schlaf zuruͤck, da
nahm er die Tafel und warf ſie auf den ſtei-
nernen Boden, daß ſie in tauſend Stuͤcken
zerſprang. Kaum war das geſchehen, ſo ſchlug
die Jungfrau die Augen hell auf, und der Zau-
ber war geloͤſt. Sie war aber die Schweſter
von den drei Schwaͤgern Reinalds, und weil ſie
einem gottloſen Zauberer ihre Liebe verſagt,
hatte er ſie in den Todesſchlaf geſenkt, und ihre
Bruͤder in Thiere verwandelt, und das ſollte
ſo lang waͤhren, als die ſchwarze Tafel unver-
ſehrt blieb.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0415" n="381"/>
fi&#x017F;ch ge&#x017F;chwommen, ver&#x017F;chluckte das Ei und &#x017F;pie<lb/>
es ans Land. Reinald nahm es und &#x017F;chlug es<lb/>
mit einem Stein auf, da lag ein kleiner Schlu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;el darin, und das war der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el, der die<lb/>
Stahlthu&#x0364;r o&#x0364;ffnete. Und wie er &#x017F;ie nur damit<lb/>
beru&#x0364;hrte, &#x017F;prang &#x017F;ie von &#x017F;elber auf, und er trat<lb/>
ein, und vor den andern Thu&#x0364;ren &#x017F;choben &#x017F;ich<lb/>
die Riegel von &#x017F;elber zuru&#x0364;ck, und durch ihrer<lb/>
&#x017F;ieben trat er in &#x017F;ieben pra&#x0364;chtige hellerleuchtete<lb/>
Kammern, und in der letzten Kammer lag eine<lb/>
Jungfrau auf einem Bett und &#x017F;chlief. Die<lb/>
Jungfrau war aber &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n, daß er ganz ge-<lb/>
blendet davon ward, er wollte &#x017F;ie aufwecken,<lb/>
das war aber vergebens, &#x017F;ie &#x017F;chlief &#x017F;o fe&#x017F;t als<lb/>
wa&#x0364;re &#x017F;ie tod. Da &#x017F;chlug er vor Zorn auf eine<lb/>
&#x017F;chwarze Tafel, die neben dem Bett &#x017F;tand; in<lb/>
dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel<lb/>
aber gleich wieder in den Schlaf zuru&#x0364;ck, da<lb/>
nahm er die Tafel und warf &#x017F;ie auf den &#x017F;tei-<lb/>
nernen Boden, daß &#x017F;ie in tau&#x017F;end Stu&#x0364;cken<lb/>
zer&#x017F;prang. Kaum war das ge&#x017F;chehen, &#x017F;o &#x017F;chlug<lb/>
die Jungfrau die Augen hell auf, und der Zau-<lb/>
ber war gelo&#x0364;&#x017F;t. Sie war aber die Schwe&#x017F;ter<lb/>
von den drei Schwa&#x0364;gern Reinalds, und weil &#x017F;ie<lb/>
einem gottlo&#x017F;en Zauberer ihre Liebe ver&#x017F;agt,<lb/>
hatte er &#x017F;ie in den Todes&#x017F;chlaf ge&#x017F;enkt, und ihre<lb/>
Bru&#x0364;der in Thiere verwandelt, und das &#x017F;ollte<lb/>
&#x017F;o lang wa&#x0364;hren, als die &#x017F;chwarze Tafel unver-<lb/>
&#x017F;ehrt blieb.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0415] fiſch geſchwommen, verſchluckte das Ei und ſpie es ans Land. Reinald nahm es und ſchlug es mit einem Stein auf, da lag ein kleiner Schluͤſ- ſel darin, und das war der Schluͤſſel, der die Stahlthuͤr oͤffnete. Und wie er ſie nur damit beruͤhrte, ſprang ſie von ſelber auf, und er trat ein, und vor den andern Thuͤren ſchoben ſich die Riegel von ſelber zuruͤck, und durch ihrer ſieben trat er in ſieben praͤchtige hellerleuchtete Kammern, und in der letzten Kammer lag eine Jungfrau auf einem Bett und ſchlief. Die Jungfrau war aber ſo ſchoͤn, daß er ganz ge- blendet davon ward, er wollte ſie aufwecken, das war aber vergebens, ſie ſchlief ſo feſt als waͤre ſie tod. Da ſchlug er vor Zorn auf eine ſchwarze Tafel, die neben dem Bett ſtand; in dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel aber gleich wieder in den Schlaf zuruͤck, da nahm er die Tafel und warf ſie auf den ſtei- nernen Boden, daß ſie in tauſend Stuͤcken zerſprang. Kaum war das geſchehen, ſo ſchlug die Jungfrau die Augen hell auf, und der Zau- ber war geloͤſt. Sie war aber die Schweſter von den drei Schwaͤgern Reinalds, und weil ſie einem gottloſen Zauberer ihre Liebe verſagt, hatte er ſie in den Todesſchlaf geſenkt, und ihre Bruͤder in Thiere verwandelt, und das ſollte ſo lang waͤhren, als die ſchwarze Tafel unver- ſehrt blieb.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/415
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/415>, abgerufen am 24.11.2024.