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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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sie in der Hand hielt, umfaßte er sie und hob
sie in den Wagen, und dann gings wieder zum
Thor hinaus, über das Feld nach dem Teich zu.

Ade, du Fräulein traut,
fahr hin, du schöne Wallfischbraut!

Die Königin stand am Fenster und sah den
Wagen noch in der Ferne, und als sie ihre Toch-
ter nicht sah, fiels ihr schwer aufs Herz, und sie
rief und suchte nach ihr allenthalben; sie war
aber nirgends zu hören und zu sehen. Da war
es gewiß und sie fing an zu weinen und der
König entdeckte ihr nun: ein Wallfisch werde sie
geholt haben, dem hab' er sie versprechen müs-
sen, und darum wäre er immer so traurig ge-
wesen; er wollte sie auch trösten, und sagte ihr
von dem großen Reichthum, den sie dafür be-
kommen würden, die Königin wollt aber nichts
davon wissen und sprach, ihr einziges Kind sey
ihr lieber gewesen, als alle Schätze der Welt.
Während der Wallfischprinz die Prinzessin geraubt,
hatten seine Diener drei mächtige Säcke in das
Schloß getragen, die fand der König an der
Thür stehen, und als er sie aufmachte, waren
sie voll schöner großer Zahlperlen, so groß, wie
die dicksten Erbsen. Da war er auf einmal
wieder reich und reicher, als er je gewesen; er
löste seine Städte und Schlößer ein, aber das
Wohlleben fing er nicht wieder an, sondern war

A a 2

ſie in der Hand hielt, umfaßte er ſie und hob
ſie in den Wagen, und dann gings wieder zum
Thor hinaus, uͤber das Feld nach dem Teich zu.

Ade, du Fraͤulein traut,
fahr hin, du ſchoͤne Wallfiſchbraut!

Die Koͤnigin ſtand am Fenſter und ſah den
Wagen noch in der Ferne, und als ſie ihre Toch-
ter nicht ſah, fiels ihr ſchwer aufs Herz, und ſie
rief und ſuchte nach ihr allenthalben; ſie war
aber nirgends zu hoͤren und zu ſehen. Da war
es gewiß und ſie fing an zu weinen und der
Koͤnig entdeckte ihr nun: ein Wallfiſch werde ſie
geholt haben, dem hab' er ſie verſprechen muͤſ-
ſen, und darum waͤre er immer ſo traurig ge-
weſen; er wollte ſie auch troͤſten, und ſagte ihr
von dem großen Reichthum, den ſie dafuͤr be-
kommen wuͤrden, die Koͤnigin wollt aber nichts
davon wiſſen und ſprach, ihr einziges Kind ſey
ihr lieber geweſen, als alle Schaͤtze der Welt.
Waͤhrend der Wallfiſchprinz die Prinzeſſin geraubt,
hatten ſeine Diener drei maͤchtige Saͤcke in das
Schloß getragen, die fand der Koͤnig an der
Thuͤr ſtehen, und als er ſie aufmachte, waren
ſie voll ſchoͤner großer Zahlperlen, ſo groß, wie
die dickſten Erbſen. Da war er auf einmal
wieder reich und reicher, als er je geweſen; er
loͤſte ſeine Staͤdte und Schloͤßer ein, aber das
Wohlleben fing er nicht wieder an, ſondern war

A a 2
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[371/0405] ſie in der Hand hielt, umfaßte er ſie und hob ſie in den Wagen, und dann gings wieder zum Thor hinaus, uͤber das Feld nach dem Teich zu. Ade, du Fraͤulein traut, fahr hin, du ſchoͤne Wallfiſchbraut! Die Koͤnigin ſtand am Fenſter und ſah den Wagen noch in der Ferne, und als ſie ihre Toch- ter nicht ſah, fiels ihr ſchwer aufs Herz, und ſie rief und ſuchte nach ihr allenthalben; ſie war aber nirgends zu hoͤren und zu ſehen. Da war es gewiß und ſie fing an zu weinen und der Koͤnig entdeckte ihr nun: ein Wallfiſch werde ſie geholt haben, dem hab' er ſie verſprechen muͤſ- ſen, und darum waͤre er immer ſo traurig ge- weſen; er wollte ſie auch troͤſten, und ſagte ihr von dem großen Reichthum, den ſie dafuͤr be- kommen wuͤrden, die Koͤnigin wollt aber nichts davon wiſſen und ſprach, ihr einziges Kind ſey ihr lieber geweſen, als alle Schaͤtze der Welt. Waͤhrend der Wallfiſchprinz die Prinzeſſin geraubt, hatten ſeine Diener drei maͤchtige Saͤcke in das Schloß getragen, die fand der Koͤnig an der Thuͤr ſtehen, und als er ſie aufmachte, waren ſie voll ſchoͤner großer Zahlperlen, ſo groß, wie die dickſten Erbſen. Da war er auf einmal wieder reich und reicher, als er je geweſen; er loͤſte ſeine Staͤdte und Schloͤßer ein, aber das Wohlleben fing er nicht wieder an, ſondern war A a 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/405>, abgerufen am 24.11.2024.