der Bär den Weg, und brummte noch hinten- drein: "in sieben Tagen komm ich und hol meine Braut."
Der König aber ging getrost nach Haus und dachte, der Bär wird doch nicht durch ein Schlüsselloch kriechen können, und weiter soll ge- wiß nichts offen bleiben. Da ließ er alle Thore verschließen, die Zugbrücken aufziehen, und hieß seine Tochter gutes Muths seyn, damit sie aber recht sicher vor dem Bärenbräutigam war, gab er ihr ein Kämmerlein hoch unter der Zinne, darin sollte sie versteckt bleiben, bis die sieben Tage herum wären. Am siebenten Morgen aber ganz früh, wie noch alles schlief, kam ein präch- tiger Wagen mit sechs Pferden bespannt und von vielen goldgekleideten Reutern umringt nach dem Schloß gefahren, und wie er davor war, ließen sich die Zugbrücken von selber herab und die Schlösser sprangen ohne Schlüssel auf. Da fuhr der Wagen in den Hof und ein jun- ger schöner Prinz stieg heraus, und wie der Kö- nig von dem Lärm aufwachte und zum Fenster hinaus sah, sah er, wie der Prinz schon seine älteste Tochter oben aus dem verschlossenen Käm- merlein geholt und eben in den Wagen hob, und er konnte ihr nur noch nachrufen:
"Ade! du Fräulein traut, Fahr hin, du Bärenbraut!"
der Baͤr den Weg, und brummte noch hinten- drein: „in ſieben Tagen komm ich und hol meine Braut.“
Der Koͤnig aber ging getroſt nach Haus und dachte, der Baͤr wird doch nicht durch ein Schluͤſſelloch kriechen koͤnnen, und weiter ſoll ge- wiß nichts offen bleiben. Da ließ er alle Thore verſchließen, die Zugbruͤcken aufziehen, und hieß ſeine Tochter gutes Muths ſeyn, damit ſie aber recht ſicher vor dem Baͤrenbraͤutigam war, gab er ihr ein Kaͤmmerlein hoch unter der Zinne, darin ſollte ſie verſteckt bleiben, bis die ſieben Tage herum waͤren. Am ſiebenten Morgen aber ganz fruͤh, wie noch alles ſchlief, kam ein praͤch- tiger Wagen mit ſechs Pferden beſpannt und von vielen goldgekleideten Reutern umringt nach dem Schloß gefahren, und wie er davor war, ließen ſich die Zugbruͤcken von ſelber herab und die Schloͤſſer ſprangen ohne Schluͤſſel auf. Da fuhr der Wagen in den Hof und ein jun- ger ſchoͤner Prinz ſtieg heraus, und wie der Koͤ- nig von dem Laͤrm aufwachte und zum Fenſter hinaus ſah, ſah er, wie der Prinz ſchon ſeine aͤlteſte Tochter oben aus dem verſchloſſenen Kaͤm- merlein geholt und eben in den Wagen hob, und er konnte ihr nur noch nachrufen:
„Ade! du Fraͤulein traut, Fahr hin, du Baͤrenbraut!“
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der Baͤr den Weg, und brummte noch hinten-
drein: „in ſieben Tagen komm ich und hol
meine Braut.“
Der Koͤnig aber ging getroſt nach Haus
und dachte, der Baͤr wird doch nicht durch ein
Schluͤſſelloch kriechen koͤnnen, und weiter ſoll ge-
wiß nichts offen bleiben. Da ließ er alle Thore
verſchließen, die Zugbruͤcken aufziehen, und hieß
ſeine Tochter gutes Muths ſeyn, damit ſie aber
recht ſicher vor dem Baͤrenbraͤutigam war, gab
er ihr ein Kaͤmmerlein hoch unter der Zinne,
darin ſollte ſie verſteckt bleiben, bis die ſieben
Tage herum waͤren. Am ſiebenten Morgen aber
ganz fruͤh, wie noch alles ſchlief, kam ein praͤch-
tiger Wagen mit ſechs Pferden beſpannt und
von vielen goldgekleideten Reutern umringt
nach dem Schloß gefahren, und wie er davor
war, ließen ſich die Zugbruͤcken von ſelber herab
und die Schloͤſſer ſprangen ohne Schluͤſſel auf.
Da fuhr der Wagen in den Hof und ein jun-
ger ſchoͤner Prinz ſtieg heraus, und wie der Koͤ-
nig von dem Laͤrm aufwachte und zum Fenſter
hinaus ſah, ſah er, wie der Prinz ſchon ſeine
aͤlteſte Tochter oben aus dem verſchloſſenen Kaͤm-
merlein geholt und eben in den Wagen hob, und
er konnte ihr nur noch nachrufen:
„Ade! du Fraͤulein traut,
Fahr hin, du Baͤrenbraut!“
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/400>, abgerufen am 24.11.2024.
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