und weinte den ganzen Tag. Wie es so ein- mal am Ufer saß, da kam ein junger, schöner Prinz geschwommen, der gefiel ihm und es ge- fiel ihm auch, und sie versprachen sich mitein- ander; indem aber kam die alte Menschen- fresserin, die wurde gewaltig bös, daß sie den Prinzen bei der Braut ihres Sohnes fand, und kriegte ihn gleich zu packen: "wart nun, du sollst zu meines Sohnes Hochzeit gebraten werden!"
Der junge Prinz, das Mädchen und die drei Kinder des Okerlo schliefen aber alle in einer Stube zusammen, wie es nun Nacht wurde, kriegte der alte Okerlo Lust nach Menschen- fleisch, und sagte: "Frau, ich habe nicht Lust bis zur Hochzeit zu warten, gieb mir den Prin- zen nur gleich her!" Das Mädchen aber hör- te alles durch die Wand, stand geschwind auf, nahm dem einen Kind des Okerlo die goldene Krone ab, die es auf dem Haupte trug, und setzte sie dem Prinzen auf. Die alte Men- schenfresserin kam gegangen, und weil es dun- kel war, so fühlte sie an den Häuptern, und das, welches keine Krone trug, brachte sie dem Mann, der es augenblicklich aufaß. Indessen wurde dem Mädchen himmelangst, es dachte: bricht der Tag an, so kommt alles heraus, und es wird uns schlimm gehen." Da stand es heimlich auf und holte einen Meilenstiefel, eine
und weinte den ganzen Tag. Wie es ſo ein- mal am Ufer ſaß, da kam ein junger, ſchoͤner Prinz geſchwommen, der gefiel ihm und es ge- fiel ihm auch, und ſie verſprachen ſich mitein- ander; indem aber kam die alte Menſchen- freſſerin, die wurde gewaltig boͤs, daß ſie den Prinzen bei der Braut ihres Sohnes fand, und kriegte ihn gleich zu packen: „wart nun, du ſollſt zu meines Sohnes Hochzeit gebraten werden!“
Der junge Prinz, das Maͤdchen und die drei Kinder des Okerlo ſchliefen aber alle in einer Stube zuſammen, wie es nun Nacht wurde, kriegte der alte Okerlo Luſt nach Menſchen- fleiſch, und ſagte: „Frau, ich habe nicht Luſt bis zur Hochzeit zu warten, gieb mir den Prin- zen nur gleich her!“ Das Maͤdchen aber hoͤr- te alles durch die Wand, ſtand geſchwind auf, nahm dem einen Kind des Okerlo die goldene Krone ab, die es auf dem Haupte trug, und ſetzte ſie dem Prinzen auf. Die alte Men- ſchenfreſſerin kam gegangen, und weil es dun- kel war, ſo fuͤhlte ſie an den Haͤuptern, und das, welches keine Krone trug, brachte ſie dem Mann, der es augenblicklich aufaß. Indeſſen wurde dem Maͤdchen himmelangſt, es dachte: bricht der Tag an, ſo kommt alles heraus, und es wird uns ſchlimm gehen.“ Da ſtand es heimlich auf und holte einen Meilenſtiefel, eine
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und weinte den ganzen Tag. Wie es ſo ein-
mal am Ufer ſaß, da kam ein junger, ſchoͤner
Prinz geſchwommen, der gefiel ihm und es ge-
fiel ihm auch, und ſie verſprachen ſich mitein-
ander; indem aber kam die alte Menſchen-
freſſerin, die wurde gewaltig boͤs, daß ſie den
Prinzen bei der Braut ihres Sohnes fand,
und kriegte ihn gleich zu packen: „wart nun,
du ſollſt zu meines Sohnes Hochzeit gebraten
werden!“
Der junge Prinz, das Maͤdchen und die drei
Kinder des Okerlo ſchliefen aber alle in einer
Stube zuſammen, wie es nun Nacht wurde,
kriegte der alte Okerlo Luſt nach Menſchen-
fleiſch, und ſagte: „Frau, ich habe nicht Luſt
bis zur Hochzeit zu warten, gieb mir den Prin-
zen nur gleich her!“ Das Maͤdchen aber hoͤr-
te alles durch die Wand, ſtand geſchwind auf,
nahm dem einen Kind des Okerlo die goldene
Krone ab, die es auf dem Haupte trug, und
ſetzte ſie dem Prinzen auf. Die alte Men-
ſchenfreſſerin kam gegangen, und weil es dun-
kel war, ſo fuͤhlte ſie an den Haͤuptern, und
das, welches keine Krone trug, brachte ſie dem
Mann, der es augenblicklich aufaß. Indeſſen
wurde dem Maͤdchen himmelangſt, es dachte:
bricht der Tag an, ſo kommt alles heraus, und
es wird uns ſchlimm gehen.“ Da ſtand es
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/367>, abgerufen am 24.11.2024.
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