de, und sind bald bei dir." Darauf setzte es sich in den Wagen zu dem Blaubart und fuhr mit ihm fort. Wie es in sein Schloß kam, war alles prächtig, und was die Königin nur wünschte, das geschah, und sie wären recht glücklich gewesen, wenn sie sich nur an den blauen Bart des Königs hätte gewöhnen kön- nen, aber immer, wenn sie den sah, erschrack sie innerlich davor. Nachdem das einige Zeit gewährt, sprach er: "ich muß eine große Reise machen, da hast du die Schlüssel zu dem ganzen Schloß, du kannst überall aufschließen und al- les besehen, nur die Kammer, wozu dieser klei- ne goldene Schlüssel gehört, verbiet' ich dir; schließt du die auf, so ist dein Leben verfallen." Sie nahm die Schlüssel, versprach ihm zu ge- horchen, und als er fort war, schloß sie nach einander die Thüren auf, und sah so viel Reich- thümer und Herrlichkeiten, daß sie meinte aus der ganzen Welt wären sie hier zusammen ge- bracht. Es war nun nichts mehr übrig, als die verbotene Kammer, der Schlüssel war von Gold, da gedachte sie, in dieser ist vielleicht das allerkostbarste verschlossen; die Neugierde fing an sie zu plagen, und sie hätte lieber all das andere nicht gesehen, wenn sie nur gewußt, was in dieser wäre. Eine Zeit lang widerstand sie der Begierde, zuletzt aber ward diese so mächtig, daß sie den Schlüssel nahm und zu
de, und ſind bald bei dir.“ Darauf ſetzte es ſich in den Wagen zu dem Blaubart und fuhr mit ihm fort. Wie es in ſein Schloß kam, war alles praͤchtig, und was die Koͤnigin nur wuͤnſchte, das geſchah, und ſie waͤren recht gluͤcklich geweſen, wenn ſie ſich nur an den blauen Bart des Koͤnigs haͤtte gewoͤhnen koͤn- nen, aber immer, wenn ſie den ſah, erſchrack ſie innerlich davor. Nachdem das einige Zeit gewaͤhrt, ſprach er: „ich muß eine große Reiſe machen, da haſt du die Schluͤſſel zu dem ganzen Schloß, du kannſt uͤberall aufſchließen und al- les beſehen, nur die Kammer, wozu dieſer klei- ne goldene Schluͤſſel gehoͤrt, verbiet' ich dir; ſchließt du die auf, ſo iſt dein Leben verfallen.“ Sie nahm die Schluͤſſel, verſprach ihm zu ge- horchen, und als er fort war, ſchloß ſie nach einander die Thuͤren auf, und ſah ſo viel Reich- thuͤmer und Herrlichkeiten, daß ſie meinte aus der ganzen Welt waͤren ſie hier zuſammen ge- bracht. Es war nun nichts mehr uͤbrig, als die verbotene Kammer, der Schluͤſſel war von Gold, da gedachte ſie, in dieſer iſt vielleicht das allerkoſtbarſte verſchloſſen; die Neugierde fing an ſie zu plagen, und ſie haͤtte lieber all das andere nicht geſehen, wenn ſie nur gewußt, was in dieſer waͤre. Eine Zeit lang widerſtand ſie der Begierde, zuletzt aber ward dieſe ſo maͤchtig, daß ſie den Schluͤſſel nahm und zu
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de, und ſind bald bei dir.“ Darauf ſetzte es
ſich in den Wagen zu dem Blaubart und fuhr
mit ihm fort. Wie es in ſein Schloß kam,
war alles praͤchtig, und was die Koͤnigin nur
wuͤnſchte, das geſchah, und ſie waͤren recht
gluͤcklich geweſen, wenn ſie ſich nur an den
blauen Bart des Koͤnigs haͤtte gewoͤhnen koͤn-
nen, aber immer, wenn ſie den ſah, erſchrack
ſie innerlich davor. Nachdem das einige Zeit
gewaͤhrt, ſprach er: „ich muß eine große Reiſe
machen, da haſt du die Schluͤſſel zu dem ganzen
Schloß, du kannſt uͤberall aufſchließen und al-
les beſehen, nur die Kammer, wozu dieſer klei-
ne goldene Schluͤſſel gehoͤrt, verbiet' ich dir;
ſchließt du die auf, ſo iſt dein Leben verfallen.“
Sie nahm die Schluͤſſel, verſprach ihm zu ge-
horchen, und als er fort war, ſchloß ſie nach
einander die Thuͤren auf, und ſah ſo viel Reich-
thuͤmer und Herrlichkeiten, daß ſie meinte aus
der ganzen Welt waͤren ſie hier zuſammen ge-
bracht. Es war nun nichts mehr uͤbrig, als
die verbotene Kammer, der Schluͤſſel war von
Gold, da gedachte ſie, in dieſer iſt vielleicht das
allerkoſtbarſte verſchloſſen; die Neugierde fing
an ſie zu plagen, und ſie haͤtte lieber all das
andere nicht geſehen, wenn ſie nur gewußt,
was in dieſer waͤre. Eine Zeit lang widerſtand
ſie der Begierde, zuletzt aber ward dieſe ſo
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/320>, abgerufen am 24.11.2024.
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