Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

warfen dem Schneider Dreck und ander schlech-
tes Zeug vor seine Thür. Der aber that alles
in seinen Kasten, ging damit in die Stadt in
einen Gasthof, und bat den Wirth, ob er ihm
nicht den Kasten, worin die größten Kostbar-
keiten wären, eine Zeit lang verwahren wolle,
bei ihm wären sie nicht sicher? Der Wirth sag-
te recht gern, und nahm den Kasten zu sich,
einige Zeit darnach kam der Schneider, forder-
te ihn wieder zurück und machte ihn auf, um
zu sehen, ob noch alles darin wäre. Wie er
nun aber voll Dreck ist, so tobte er abscheulich,
beschimpfte den Wirth und drohte ihn zu ver-
klagen, so daß der Wirth, welcher Aufsehen
scheute, und für seinen Credit fürchtete, ihm
gern hundert Thaler gab. Die Bauern ärger-
ten sich wieder, daß dem Schneider alles zum
Profit ausschlug, was sie ihm Leides anthaten,
nahmen den Kasten, steckten ihn mit Gewalt
hinein, setzten ihn aufs Wasser, und ließen ihn
fortfließen. Der Schneider schwieg eine Weile
still, bis er eine Ecke fortgeflossen war, dann
rief er überlaut: "nein, ich thus nicht! und ich
thus nicht! und wenns die ganze Welt haben
wollte." Das Geschrei hörte ein Schäfer und
fragte: "was willst du denn nicht thun?" --
"Ei, sagte der Schneider, da ist ein König, der
hat die närrische Grille und besteht drauf, daß, wer
in diesem Kasten den Strom hinuntergeschwom-

warfen dem Schneider Dreck und ander ſchlech-
tes Zeug vor ſeine Thuͤr. Der aber that alles
in ſeinen Kaſten, ging damit in die Stadt in
einen Gaſthof, und bat den Wirth, ob er ihm
nicht den Kaſten, worin die groͤßten Koſtbar-
keiten waͤren, eine Zeit lang verwahren wolle,
bei ihm waͤren ſie nicht ſicher? Der Wirth ſag-
te recht gern, und nahm den Kaſten zu ſich,
einige Zeit darnach kam der Schneider, forder-
te ihn wieder zuruͤck und machte ihn auf, um
zu ſehen, ob noch alles darin waͤre. Wie er
nun aber voll Dreck iſt, ſo tobte er abſcheulich,
beſchimpfte den Wirth und drohte ihn zu ver-
klagen, ſo daß der Wirth, welcher Aufſehen
ſcheute, und fuͤr ſeinen Credit fuͤrchtete, ihm
gern hundert Thaler gab. Die Bauern aͤrger-
ten ſich wieder, daß dem Schneider alles zum
Profit ausſchlug, was ſie ihm Leides anthaten,
nahmen den Kaſten, ſteckten ihn mit Gewalt
hinein, ſetzten ihn aufs Waſſer, und ließen ihn
fortfließen. Der Schneider ſchwieg eine Weile
ſtill, bis er eine Ecke fortgefloſſen war, dann
rief er uͤberlaut: „nein, ich thus nicht! und ich
thus nicht! und wenns die ganze Welt haben
wollte.“ Das Geſchrei hoͤrte ein Schaͤfer und
fragte: „was willſt du denn nicht thun?“ —
„Ei, ſagte der Schneider, da iſt ein Koͤnig, der
hat die naͤrriſche Grille und beſteht drauf, daß, wer
in dieſem Kaſten den Strom hinuntergeſchwom-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0317" n="283"/>
warfen dem Schneider Dreck und ander &#x017F;chlech-<lb/>
tes Zeug vor &#x017F;eine Thu&#x0364;r. Der aber that alles<lb/>
in &#x017F;einen Ka&#x017F;ten, ging damit in die Stadt in<lb/>
einen Ga&#x017F;thof, und bat den Wirth, ob er ihm<lb/>
nicht den Ka&#x017F;ten, worin die gro&#x0364;ßten Ko&#x017F;tbar-<lb/>
keiten wa&#x0364;ren, eine Zeit lang verwahren wolle,<lb/>
bei ihm wa&#x0364;ren &#x017F;ie nicht &#x017F;icher? Der Wirth &#x017F;ag-<lb/>
te recht gern, und nahm den Ka&#x017F;ten zu &#x017F;ich,<lb/>
einige Zeit darnach kam der Schneider, forder-<lb/>
te ihn wieder zuru&#x0364;ck und machte ihn auf, um<lb/>
zu &#x017F;ehen, ob noch alles darin wa&#x0364;re. Wie er<lb/>
nun aber voll Dreck i&#x017F;t, &#x017F;o tobte er ab&#x017F;cheulich,<lb/>
be&#x017F;chimpfte den Wirth und drohte ihn zu ver-<lb/>
klagen, &#x017F;o daß der Wirth, welcher Auf&#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;cheute, und fu&#x0364;r &#x017F;einen Credit fu&#x0364;rchtete, ihm<lb/>
gern hundert Thaler gab. Die Bauern a&#x0364;rger-<lb/>
ten &#x017F;ich wieder, daß dem Schneider alles zum<lb/>
Profit aus&#x017F;chlug, was &#x017F;ie ihm Leides anthaten,<lb/>
nahmen den Ka&#x017F;ten, &#x017F;teckten ihn mit Gewalt<lb/>
hinein, &#x017F;etzten ihn aufs Wa&#x017F;&#x017F;er, und ließen ihn<lb/>
fortfließen. Der Schneider &#x017F;chwieg eine Weile<lb/>
&#x017F;till, bis er eine Ecke fortgeflo&#x017F;&#x017F;en war, dann<lb/>
rief er u&#x0364;berlaut: &#x201E;nein, ich thus nicht! und ich<lb/>
thus nicht! und wenns die ganze Welt haben<lb/>
wollte.&#x201C; Das Ge&#x017F;chrei ho&#x0364;rte ein Scha&#x0364;fer und<lb/>
fragte: &#x201E;was will&#x017F;t du denn nicht thun?&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ei, &#x017F;agte der Schneider, da i&#x017F;t ein Ko&#x0364;nig, der<lb/>
hat die na&#x0364;rri&#x017F;che Grille und be&#x017F;teht drauf, daß, wer<lb/>
in die&#x017F;em Ka&#x017F;ten den Strom hinunterge&#x017F;chwom-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0317] warfen dem Schneider Dreck und ander ſchlech- tes Zeug vor ſeine Thuͤr. Der aber that alles in ſeinen Kaſten, ging damit in die Stadt in einen Gaſthof, und bat den Wirth, ob er ihm nicht den Kaſten, worin die groͤßten Koſtbar- keiten waͤren, eine Zeit lang verwahren wolle, bei ihm waͤren ſie nicht ſicher? Der Wirth ſag- te recht gern, und nahm den Kaſten zu ſich, einige Zeit darnach kam der Schneider, forder- te ihn wieder zuruͤck und machte ihn auf, um zu ſehen, ob noch alles darin waͤre. Wie er nun aber voll Dreck iſt, ſo tobte er abſcheulich, beſchimpfte den Wirth und drohte ihn zu ver- klagen, ſo daß der Wirth, welcher Aufſehen ſcheute, und fuͤr ſeinen Credit fuͤrchtete, ihm gern hundert Thaler gab. Die Bauern aͤrger- ten ſich wieder, daß dem Schneider alles zum Profit ausſchlug, was ſie ihm Leides anthaten, nahmen den Kaſten, ſteckten ihn mit Gewalt hinein, ſetzten ihn aufs Waſſer, und ließen ihn fortfließen. Der Schneider ſchwieg eine Weile ſtill, bis er eine Ecke fortgefloſſen war, dann rief er uͤberlaut: „nein, ich thus nicht! und ich thus nicht! und wenns die ganze Welt haben wollte.“ Das Geſchrei hoͤrte ein Schaͤfer und fragte: „was willſt du denn nicht thun?“ — „Ei, ſagte der Schneider, da iſt ein Koͤnig, der hat die naͤrriſche Grille und beſteht drauf, daß, wer in dieſem Kaſten den Strom hinuntergeſchwom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/317
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/317>, abgerufen am 16.07.2024.