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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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schwester hat doch schon lange den Tod ver-
dient, heut Nacht leg dich hinten ins Bett und
schieb sie recht vorne hin, dann will ich kom-
men, wenn sie schläft, und will ihr den Kopf
abhauen." Die Stiefschwester aber hatte in
einer Ecke gestanden und alles mit angehört,
da ließ sie die böse Schwester erst zu Bett ge-
hen, daß sie hinten hin kam, wie sie aber ein-
geschlafen war, hub sie sie auf und legte sie
vorne hin, sich aber ganz hinten. Da kam die
Mutter in der Nacht geschlichen, fühlte erst ob
vorne jemand lag und schlief, dann faßte sie
die Axt mit beiden Händen und hieb und hieb
ihrem eigenen Kind den Kopf ab.

Wie sie fortgegangen war, stand das Mäd-
chen auf und ging zu seinem Liebsten Roland,
klopfte an und rief: "hör, wir müssen fort, die
Stiefmutter hat ihr eigen Kind todtgeschlagen,
und meint sie hätte mich getroffen, kommt der
Tag und sie sieht, was sie gethan, so bin ich
verloren; da hab ich ihren Zauberstab genom-
men, damit können wir uns schon helfen."
Der Liebste Roland stand auf, und sie nahmen
erst den todten Kopf und tröpfelten drei Bluts-
tropfen, einen vors Bett, einen in die Küche
und einen auf die Treppe; darauf gingen sie
fort. Am Morgen, als die Mutter aufgestan-
den war, rief sie ihrer Tochter: "komm, du
sollst jetzt die Schürze haben, die Tochter kam

aber

ſchweſter hat doch ſchon lange den Tod ver-
dient, heut Nacht leg dich hinten ins Bett und
ſchieb ſie recht vorne hin, dann will ich kom-
men, wenn ſie ſchlaͤft, und will ihr den Kopf
abhauen.“ Die Stiefſchweſter aber hatte in
einer Ecke geſtanden und alles mit angehoͤrt,
da ließ ſie die boͤſe Schweſter erſt zu Bett ge-
hen, daß ſie hinten hin kam, wie ſie aber ein-
geſchlafen war, hub ſie ſie auf und legte ſie
vorne hin, ſich aber ganz hinten. Da kam die
Mutter in der Nacht geſchlichen, fuͤhlte erſt ob
vorne jemand lag und ſchlief, dann faßte ſie
die Axt mit beiden Haͤnden und hieb und hieb
ihrem eigenen Kind den Kopf ab.

Wie ſie fortgegangen war, ſtand das Maͤd-
chen auf und ging zu ſeinem Liebſten Roland,
klopfte an und rief: „hoͤr, wir muͤſſen fort, die
Stiefmutter hat ihr eigen Kind todtgeſchlagen,
und meint ſie haͤtte mich getroffen, kommt der
Tag und ſie ſieht, was ſie gethan, ſo bin ich
verloren; da hab ich ihren Zauberſtab genom-
men, damit koͤnnen wir uns ſchon helfen.“
Der Liebſte Roland ſtand auf, und ſie nahmen
erſt den todten Kopf und troͤpfelten drei Bluts-
tropfen, einen vors Bett, einen in die Kuͤche
und einen auf die Treppe; darauf gingen ſie
fort. Am Morgen, als die Mutter aufgeſtan-
den war, rief ſie ihrer Tochter: „komm, du
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[256/0290] ſchweſter hat doch ſchon lange den Tod ver- dient, heut Nacht leg dich hinten ins Bett und ſchieb ſie recht vorne hin, dann will ich kom- men, wenn ſie ſchlaͤft, und will ihr den Kopf abhauen.“ Die Stiefſchweſter aber hatte in einer Ecke geſtanden und alles mit angehoͤrt, da ließ ſie die boͤſe Schweſter erſt zu Bett ge- hen, daß ſie hinten hin kam, wie ſie aber ein- geſchlafen war, hub ſie ſie auf und legte ſie vorne hin, ſich aber ganz hinten. Da kam die Mutter in der Nacht geſchlichen, fuͤhlte erſt ob vorne jemand lag und ſchlief, dann faßte ſie die Axt mit beiden Haͤnden und hieb und hieb ihrem eigenen Kind den Kopf ab. Wie ſie fortgegangen war, ſtand das Maͤd- chen auf und ging zu ſeinem Liebſten Roland, klopfte an und rief: „hoͤr, wir muͤſſen fort, die Stiefmutter hat ihr eigen Kind todtgeſchlagen, und meint ſie haͤtte mich getroffen, kommt der Tag und ſie ſieht, was ſie gethan, ſo bin ich verloren; da hab ich ihren Zauberſtab genom- men, damit koͤnnen wir uns ſchon helfen.“ Der Liebſte Roland ſtand auf, und ſie nahmen erſt den todten Kopf und troͤpfelten drei Bluts- tropfen, einen vors Bett, einen in die Kuͤche und einen auf die Treppe; darauf gingen ſie fort. Am Morgen, als die Mutter aufgeſtan- den war, rief ſie ihrer Tochter: „komm, du ſollſt jetzt die Schuͤrze haben, die Tochter kam aber

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/290>, abgerufen am 25.11.2024.