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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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"Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier:
aber Sneewittchen, über den sieben Bergen ist
noch tausendmal schöner als Ihr!"

wie die Königin das hörte erschrack sie und sah
wohl, daß sie betrogen worden und der Jäger
Sneewittchen nicht getödtet hatte. Weil aber
niemand, als die sieben Zwerglein in den sieben
Bergen war, da wußte sie gleich, daß es sich
zu diesen gerettet hatte, und nun sann sie von
neuem nach, wie sie es umbringen könnte, denn
so lang der Spiegel nicht sagte, sie wär die
schönste Frau im ganzen Land, hatte sie keine
Ruh. Da war ihr alles nicht sicher und ge-
wiß genug, und sie verkleidete sich selber in ei-
ne alte Krämerin, färbte ihr Gesicht, daß sie
auch kein Mensch erkannte, und ging hinaus
vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Thür
und rief: "macht auf, macht auf, ich bin die
alte Krämerin, die gute Waare feil hat."
Sneewittchen guckte aus dem Fenster: "was
habt ihr denn?" -- "Schnürriemen, liebes
Kind, sagte die Alte, und holte einen hervor,
der war von gelber, rother und blauer Seide
geflochten: "willst du den haben?" -- Ei ja,
sprach Sneewittchen, und dachte die gute alte
Frau kann ich wohl hereinlassen, die meints
redlich; riegelte also die Thüre auf und handel-
te sich den Schnürriemen. "Aber wie bist du
so schlampisch geschnürt, sagte die Alte, komm

Q 2

„Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier:
aber Sneewittchen, uͤber den ſieben Bergen iſt
noch tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“

wie die Koͤnigin das hoͤrte erſchrack ſie und ſah
wohl, daß ſie betrogen worden und der Jaͤger
Sneewittchen nicht getoͤdtet hatte. Weil aber
niemand, als die ſieben Zwerglein in den ſieben
Bergen war, da wußte ſie gleich, daß es ſich
zu dieſen gerettet hatte, und nun ſann ſie von
neuem nach, wie ſie es umbringen koͤnnte, denn
ſo lang der Spiegel nicht ſagte, ſie waͤr die
ſchoͤnſte Frau im ganzen Land, hatte ſie keine
Ruh. Da war ihr alles nicht ſicher und ge-
wiß genug, und ſie verkleidete ſich ſelber in ei-
ne alte Kraͤmerin, faͤrbte ihr Geſicht, daß ſie
auch kein Menſch erkannte, und ging hinaus
vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Thuͤr
und rief: „macht auf, macht auf, ich bin die
alte Kraͤmerin, die gute Waare feil hat.“
Sneewittchen guckte aus dem Fenſter: „was
habt ihr denn?“ — „Schnuͤrriemen, liebes
Kind, ſagte die Alte, und holte einen hervor,
der war von gelber, rother und blauer Seide
geflochten: „willſt du den haben?“ — Ei ja,
ſprach Sneewittchen, und dachte die gute alte
Frau kann ich wohl hereinlaſſen, die meints
redlich; riegelte alſo die Thuͤre auf und handel-
te ſich den Schnuͤrriemen. „Aber wie biſt du
ſo ſchlampiſch geſchnuͤrt, ſagte die Alte, komm

Q 2
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[243/0277] „Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier: aber Sneewittchen, uͤber den ſieben Bergen iſt noch tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“ wie die Koͤnigin das hoͤrte erſchrack ſie und ſah wohl, daß ſie betrogen worden und der Jaͤger Sneewittchen nicht getoͤdtet hatte. Weil aber niemand, als die ſieben Zwerglein in den ſieben Bergen war, da wußte ſie gleich, daß es ſich zu dieſen gerettet hatte, und nun ſann ſie von neuem nach, wie ſie es umbringen koͤnnte, denn ſo lang der Spiegel nicht ſagte, ſie waͤr die ſchoͤnſte Frau im ganzen Land, hatte ſie keine Ruh. Da war ihr alles nicht ſicher und ge- wiß genug, und ſie verkleidete ſich ſelber in ei- ne alte Kraͤmerin, faͤrbte ihr Geſicht, daß ſie auch kein Menſch erkannte, und ging hinaus vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Thuͤr und rief: „macht auf, macht auf, ich bin die alte Kraͤmerin, die gute Waare feil hat.“ Sneewittchen guckte aus dem Fenſter: „was habt ihr denn?“ — „Schnuͤrriemen, liebes Kind, ſagte die Alte, und holte einen hervor, der war von gelber, rother und blauer Seide geflochten: „willſt du den haben?“ — Ei ja, ſprach Sneewittchen, und dachte die gute alte Frau kann ich wohl hereinlaſſen, die meints redlich; riegelte alſo die Thuͤre auf und handel- te ſich den Schnuͤrriemen. „Aber wie biſt du ſo ſchlampiſch geſchnuͤrt, ſagte die Alte, komm Q 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/277>, abgerufen am 25.11.2024.